Die Runde geht an die anderen

Die Hamburger Grünen verlieren fast fünf Prozentpunkte. Die GAL schiebt das auf die Debatte um die innere Sicherheit, nicht auf den Kriegskurs der Partei

aus Hamburg HEIKE HAARHOFF

Hamburgs Sozialsenatorin Karin Roth hielt dem Blick in die Fernsehkameras kaum stand. „Die SPD hat sich gut nach vorn gebracht“, brachte sie schließlich hervor, und dann: „Unsere Politik der vergangenen vier Jahre hat große Zustimmung erfahren.“ Da klang die Stimme schon etwas brüchig. Denn an der Elbe drohte gestern Abend das für Sozialdemokraten schier Unfassbare: Nach 44 Jahren SPD-Herrschaft, zuletzt zusammen mit den Grünen, steht in der Hansestadt wonmöglich erstmals ein Machtwechsel bevor: Der Rechtsblock aus CDU, FDP und der rechtspopulistischen Partei Rechtsstaatlicher Offensive des Amtsrichter Ronald Schill könnte die Regierung der nächsten vier Jahre in Hamburg stellen, auch Ole von Beust (CDU) eine große Koalition nicht ganz ausschließen wollte. Und wenn die FDP denn nach genauer Zählung doch noch unter fünf Prozent bleiben sollte -was gestern abend nicht auszuschließen war - könnten sich Karin Roths Tränen noch in Freudentränen wandeln.

Die große Verliererin der Bürgerschaftswahl ist jedenfalls nicht die SPD: Sie legte gegenüber 1997 sogar um etwa einen Prozentpunkt zu. Wer abschmierte, war der grüne Koalitionspartner: Vier bis fünf Prozentpunkte haben die Grünen gegenüber 1997 verloren. Erstmals an der Elbe, einer traditionellen Grünen-Hochburg, sind sie unter die Zehnprozentmarke gefallen. Ein schmachvolles Ergebnis, das die grüne Landeschefin Antje Radcke dennoch schönzureden versuchte: Die Grünen, selbstbemitleidete sie sich und ihre Partei, hätten eben eine „komplizierte Situation“ vorgefunden. Der „Lagerwahlkampf“, einzig „bestimmt von der inneren Sicherheit“, habe verhindert, „dass wir unsere eigenen Inhalte in den Vordergrund stellen konnten“. Welche genau diese Inhalte sein könnten, die den Grünen nach vier Jahren der Angepasstheit, des Krötenschluckens und Jasagens noch eigen sind, ließ sie offen. Stattdessen gestand sie freimütig: Mit der Diskussion um die „Konsequenzen“, die die Partei nach dieser Niederlage führen müsse, stehe man „noch ganz am Anfang“. Gefasster zeigte sich Hamburgs Zweite Bürgermeisterin und Wissenschaftssenatorin Krista Sager. Die Grünen hätten „schmerzhaft verloren“. Als Regierungspartei aber, erklärte sie, verliere man eben „Protestwähler“. Auch glaube sie, dass „angesichts der Weltlage“ viele ehemals grüne Wähler „lieber der SPD unter die Arme greifen“ wollten. Dass die Grünen auch für ihren Kriegskurs abgestraft worden sein dürften, erwähnte sie lieber nicht.

Den großen Sieger des Abends, Amtsrichter Ronald Schill, kümmerte all dies wenig. Der politisch völlig unerfahrene Mann, der vom Überdruss vieler Wähler am sprichwörtlichen „roten Filz“ in der Hansestadt profitiert und es mit seinen markigen Sprüchen in Sachen Kriminalität auf Anhieb auf knapp 18 Prozent gebracht haben dürfte, gab bekannt: „Die SPDwird noch eine Überlebensfrist von ein paar Tagen haben, und dann ist endgültig Schluss“.

Das sehen die Sozialdemokraten ganz anders. „Die SPD hat ein sehr gutes Ergebnis erzielt, mit dem ein Auftrag zur Regierungsbildung verbunden ist“, gab sich der amtierende Innensenator und Parteichef Olaf Scholz optimistisch. Und Bürgermeister Ortwin Runde, der wie schon sein Vorgänger Voscherau vor vier Jahren das Thema innere Sicherheit erst verkannt hatte und es darüber hinaus im Wahlkampf nicht geschafft hatte, die unbestrittenen Wirtschaftserfolge seiner Koalition öffentlichkeitswirksam zu vermarkten, will nun „Gespräche aufnehmen“ mit „allen Parteien außer der Schill-Partei“ zwecks Regierungsbildung. Auch Nikolaus Schües, Präsident der einflussreichen Handelskammer und distinguierter Hanseat par excellence, graust es wie vielen seiner 100.000 Mitglieder starken Kammer vor einem Innensenator Schill. Schües drängte auch aufgrund der „knappen Mehrheiten“ auf eine große Koalition, ohne jedoch, ganz so, wie es sich für einen Hanseaten geziemt, diesen Wunsch explizit auszusprechen.

Doch CDU-Chef Ole von Beust, der ewige Oppositionschef, der seit Jahren darauf wartet, Bürgermeister zu werden, winkte gestern Abendnoch ab. Seine Partei, die gegenüber 1997 verloren und damit das zweitschlechteste Wahlergebnis der Nachkriegszeit erzielt hat, werde das Wählervotum respektieren. Dieses laute eindeutig auf „Wechsel“, sagte er, den FDP-Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde noch fest im Auge. Im Übrigen, fügte er hinzu, werde es „mit mir nichts geben, was dem Ruf Hamburgs schadet“.