Polis statt Stadtstaat

Der grüne Verkehrs- und Verfassungsexperte Martin Schmidt scheidet nach zehn Jahren aus der Bürgerschaft aus  ■ 

Ein bißchen Selbst-Stilisierung gehört schon dazu: 95 kleine Anfragen zum Fahrradverkehr hat der Verkehrs- und Verfassungsexperte Martin Schmidt als Bürgerschaftsabgeordneter der GAL gestellt, beinahe zehn in jedem Jahr. Für die neue Bürgerschaft hat er nicht mehr kandidiert; der 67-Jährige will sich verstärkt seiner wissenschaftlichen Arbeit als Altphilologe widmen.

„Ohne Martin Schmidt wären wir mit dem Fahrrad in Hamburg heute nicht so weit, wie wir sind“, sagt Dirk Pfaue, der Vorsitzende des Fahrradclubs ADFC. Die lästigen Fragen nach dem Grund für einen unerklärlichen Sperrbügel hier und einen holperigen Slalom-Radweg dort hielten die Fahrradpolitik ständig auf der Tagesordnung.

Schmidt ist die Einführung der diebstahlsicheren Fahrrahdhäuschen zu danken. Er hat zur Schaffung von Velorouten und zur Einführung von Tempo-30-Zonen beigetragen. Dass unter dem rot-grünen Senat nach langen Jahren endlich ein Verkehrsentwicklungsplan verabschiedet wurde, der 30 Prozent der täglichen Fahrten mit dem Öffentlichen Nahverkehr abgewickelt sehen möchte, ist nicht zuletzt sein Verdienst, und auch dass die Wiedereinführung der Straßenbahn unter Rot-Grün so gut wie beschlossene Sache war. Ob diese Ansätze erhalten bleiben und sich entfalten können, ist allerdings offen. In vier Jahren Rot-Grün ging vieles langsamer als erhofft.

Doch Schmidt war nicht nur der wohl kompetenteste Verkehrspolitiker in der Bürgerschaft; er selbst nennt als seinen größten Erfolg die Reform der Hamburgischen Verfassung. Als Mitglied der Enquete-kommission Parlaments- und Verfassungsreform trug er dazu bei, das Verhältnis zwischen Senat und Bürgerschaft neu zu ordnen und die Volksgesetzgebung auf Bezirksebene einzuführen. Das Schönste für ihn sei gewesen, „dass das Volk '98 noch mehr beschloss, als die Bürgerschaft wollte“.

Seine größte Niederlage datiert Schmidt in jüngster Zeit: Dass es ihm nicht gelungen sei, die Presse-Kampagnen, die zum Rücktritt von Innensenator Hartmut Wrocklage und zum Beinahe-Rücktritt von Sozialsenatorin Karin Roth (beide SPD) führten, öffentlichkeitswirksam zu entlarven. Seine Bürgerschaftsreden zu dem Thema wurden von den meisten Medien nicht zur Kenntnis genommen. Sein Talent als Redner – er gilt als einer der besten der Bürgerschaft – hat hier nichts geholfen.

Was die Zukunft angeht, so will der promovierte Altphilologe mit der wilden Haartracht zumindest 2002 „hauptsächlich keine Politik machen“. Seit 1974 arbeitet er zusammen mit anderen Autoren am Lexikon des frühgriechischen Epos, herausgegeben vom Göttinger Akademie-Verlag. Ein Artikel über die Polis wird in den nächsten Monaten den größten Teil seiner Zeit beanspruchen. „Wenn das Lexikon fertig wird, dann wird es 50 Jahre in Arbeit gewesen sein“, sagt Schmidt stolz. Selbst wenn sich die Halbwertszeit mancher politischer Erfolge durch die verlorene Wahl drastisch verkürzen sollte, das Lexikon bleibt. Gernot Knödler