Marsch, marsch oder: Kehrt marsch

Ein kleiner Wegweiser durch den Dschungel des Grundgesetzes und dessen Vorschriften für Bundeswehreinsätze im Inneren. Und eine Argumentationshilfe für den nächsten Koalitionskrach. Auf jeden Fall bleibt Scharping am Drücker

Für den Bundesvorsitzenden des Republikanischen Anwaltsvereins (RAV), Wolfgang Kaleck, ist die Überlegung, „Bundeswehr als Polizei einzusetzen, ein Tabubruch“. Aber nicht nur liberale Bürgerrechtler sind nach dem Vorstoß von Innensenator Ehrhart Körting (SPD) aufgeschreckt. Auch Verfassungsrechtler haben Bedenken. Kritiker und Befürworter stützen sich gleichermaßen aufs Grundgesetz, vor allen auf Artikel 87 a. Dort heißt es im Absatz 3: „Die Streitkräfte haben im Verteidigungsfall und im Spannungsfalle die Befugnis zivile Objekte zu schützen (. . .) “

Nach Ansicht von Militär- und Rechtsexperten zieht aber der gerne ins Feld geführte Nato-„Bündnisfall“ nicht automatisch das Ausrufen des „Spannungsfalls“ nach sich. Ohnehin kann die Bundesregierung den Eintritt des Letzteren – der eine Eskalationsstufe unter dem Verteidigungsfall liegt – keineswegs alleine beschließen. Vielmehr müssen zwei Drittel der Bundestagsabgeordneten zustimmen.

Da die Militäraktionen der USA, das Verhalten der Nato im Allgemeinen und der Einsatz der Bundeswehr im Speziellen ohnehin noch nicht feststehen, argumentiert der Innensenator lieber mit Absatz 4 des Artikels 87 a: „Zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes, kann die Bundesregierung, wenn (. . .) die Polizeikräfte sowie der Bundesgrenzschutz nicht ausreichen, Streitkräfte zur Unterstützung der Polizei und des Bundesgrenzschutzes beim Schutze von zivilen Objekten und bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer einsetzen.“

Für Kenner des Grundgesetzes begibt sich Körting mit dieser Auslegung auf dünnes Eis. Denn hier muss die Angst vor etwaigen terroristischen Aktionen und Anschlägen in Deutschland nach den zu erwartenden Militäraktionen der USA zur Begründung herhalten. Außerdem kann man sich trefflich darüber streiten, ob terroristische Anschläge wie in New York und Washington ausreichen, um die freiheitlich-demokratische Grundordnung nachhaltig zu gefährden.

Sollte sich Körtings Rechtsauffassung wider Erwarten durchsetzen, bleibt der Oberbefehl für Berlins neue Truppe allerdings bei Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD). Und den Kritikern bleibt der Gang zum Bundesverfassungsgericht.

HEIKE KLEFFNER