Die Mutti der Nation

Doris Schröder-Köpf generiert zur Töchterbeauftragten der „Bild“- Deutschen

„Wassertiefe 2,90 m“ stand am Beckenrand des Hallenbads, aber alle waren im Seichten

Ich sah Doris Schröder-Köpf. Am Sonntagnachmittag in Berlin, im Stadtbad Neukölln. Wir waren nicht zum Schwimmen da. Sondern zur Kinderstunde. „Der Kanzler wohnt im Swimmingpool oder Wie Politik gemacht wird“, heißt ein Buch, das Doris Schröder-Köpf gemeinsam mit Ingke Brodersen herausgegeben hat. In knapp 30 Beiträgen erklären die Herausgeberinnen und allerlei Experten wie Thomas Gottschalk, Claus Leggewie und Ulrich Wickert allen großen und kleinen Kindern, was das ist: Politik in Deutschland. Live reißt sich erst mal ein PR-Mann vom Campus Verlag fast ein Bein aus und beteuert, dass „Doris Schröder-Köpf und ihre Tochter Klara“ an dem Buch wirklich mitgearbeitet haben, dass es ein „Privileg“ sei, mit Frau Schröder-Köpf zu arbeiten, und dass überhaupt alles ganz „hervorragend“ und „herausragend“ geworden sei, „in aller Bescheidenheit“, versteht sich.

Nachdem die erste Schleimspur des Nachmittags gelegt ist, senkt der zackige Mensch sein Timbre auf Halbmast und schickt wohlfeile „Trauer und Solidarität“ nach New York. Die Herausgeberinnen haben unter einem fröhlichen rot-weißen Sonnenschirm am Beckenrand des alten Neuköllner Hallenbads Platz genommen, auf dem Wasser schwimmen aufgeblasene Plastikinseln und ein großer Gummidelphin. Eine Moderatorin bringt die Gefühle der anwesenden Analphabeten vom Fernsehen und der Schnittchenjäger von der Presse auf den Punkt und sagt: „Politik bestimmt unser Leben in ganz besonderem Maße. Das haben wir alle in den letzten 14 Tagen mitbekommen müssen.“ Es riecht leicht nach Chlor im Hallenbad, die Luft ist warm und legt einen feuchten Film auf viele Gesichter.

Ingke Brodersen war lange beim Rowohlt Verlag. 1987, erzählt sie, habe sie Doris Köpf in Bonn kennen gelernt und ihren Sohn Paul bekommen. Als der Sohn dann sprechen konnte und zum ersten Mal Doris Köpf gesehen habe, habe er gerufen: „Mama, ein Kind!“ – weil doch „die Doris“, wie Ingke Brodersen sagt, so klein und so zart ist. Es war ein geeigneter Moment, um ins Wasser zu gehen, und sei es, um den Glibber abzuwaschen, den Frau Brodersen ausschenkte. In ihrem Vorwort schreibt sie: „Mir würde es gefallen, wenn meine Tochter mit 18 für das Gemeindeparlament kandidiert und eines Tages kommt und sagt: ‚Mama, ich will Bundeskanzlerin werden‘.“ Die Tochter heißt Hannah und ist erst zwölf, muss also noch nicht für ein Amt kandidieren, sondern nur öffentlich vorlesen: Sie trug Beate Flemmings fiktives Tagebuch der fiktiven Kanzlerstochter Lisa vor und war dazu auch tiptop abgerichtet.

Bei allen pädagogischen Bemühungen von Familie Brodersen aber gibt es beim demonstrativen Mutti-und-Kind-Getuttel in Deutschland derzeit nur eine Nummer eins: Doris Schröder-Köpf. Die Frau, die im Verbund mit Bild und Bild am Sonntag die Rolle einer Volkserzieherin einnimmt, die auf deutschem Boden zuletzt Heidi Kabel, Witta Pohl und Margot Honecker innehatten, schmückte live noch einmal aus, was sie am selben Tag bereits der BamS anvertraut hatte: Am 11. September habe sie das Fernsehen angestellt und die schrecklichen Bilder angesehen, und erst, „als meine Tochter Klara völlig in Tränen ausgebrochen ist und geschluchzt“ hat, habe sie gemerkt, dass sie „einen Fehler gemacht“ habe. Denn so macht das Doris Schröder-Köpf, die Mutti der Nation: Kaum ein Satz fällt in ihrer Gegenwart, in dem nicht „meine Tochter Klara“ auftaucht. Weil ja das Kind behütet vor den Medien aufwachsen soll, trägt sie es wie einen Schutzschild vor sich her.

„Wassertiefe 2,90 m“ stand am Beckenrand, aber alle waren im Seichten. Herbert Riehl-Heyse von der SZ hatte sich mit einer lauen Swimmingpool-Bemerkung über Rudolf Scharping zum Elder Hampelmann gemacht, und den ebenfalls anwesenden „Berlin vertraulich“-Bild-Kolumnisten Graf Nayhauß, das dienstälteste „Hakle feucht“ des deutschen Journalismus, wollte ich mir gern sparen. Ich ging und bat eine Dame am Bücherstand um ein Buch. „Als Presseexemplar?“, bot sie an. „Nein“, sagte ich und drückte 36 Mark ab. „Das ist nichts, das ich geschenkt haben möchte.“ Die Buchhändlerin schien unzufrieden. „Aber doch ein signiertes?“, hakte sie nach. Och ja, das dann schon, dachte ich, trollte mich – und wurde enttäuscht: Mutti Köpf hatte zwar unterschrieben, doch die Signatur ihrer öffentlichen Tochter fehlte. Da hatten die Medienberater einmal nicht aufgepasst.

WIGLAF DROSTE