Hauptstädtische Dope-Connections

Berliner Töffeligkeit

Früher war alles besser, da lieferte der Hausmeister des Republikanischen Clubs die Drogen frei Haus bzw. WG, und daneben gab es noch Werner Pieper, dem man einen Fuffi schickte, und dann bekam man per Post retour ein Piece von seiner „grünen Kraft“ zugestellt. Das LSD kam derweil in immer besserer Qualität aus der Humboldt-Universität, behaupteten jedenfalls die Kuriere.

Heute werden die Kunstdrogen meist von Heimchemikern in Dahlem oder Zehlendorf hergestellt und auch gerne dort – zum Beispiel an der Krummen Lanke – in Partymengen vertickt. Eine Exstasy-Dealerin – aus dem ehemaligen Bunker in Mitte – hat bereits ihre Erfolgsautobiografie in einem Berliner Verlag veröffentlichen können. In Kokainkreisen gelingt dagegen den Bullen immer mal wieder ein Coup, indem sie etliche akademische Karrieren auf einen Schlag zerstören.

Meine derzeitige Haschisch-Dealerin, die auf dem Land lebt, wo sie zur Tarnung einige Cannabis-Pflanzen im Garten hegt und pflegt, meinte neulich über die gerade verhafteten drei Großfamilien, die mit solchen Riesenmengen „Skung“-Gras gedealt hatten, dass der Tagesspiegel bereits unkte, die Preise würden nun in der Stadt steigen: „Das war die reinste Berliner Ökonomie!“

„Wie meinst du das denn?“, fragte ich sie. „Na, die hatten doch ein ganzes Mietshaus voll mit Cannabispflanzen und dann noch ein Riesenobjekt bei Wandlitz, alles wunderbar familiär organisiert. Aber mit ihrer Berliner Töffeligkeit haben sie die zwei dicken Schwachstellen nie beseitigt – zum einen der Kurier, der sie verraten hat, zum anderen diese kleine holländische Bank gleich hinter der Grenze, der die Riesensummen irgendwann suspekt wurden.

Hinterher ist man ja immer klüger, aber sie hätten natürlich das Geld viel anonymer in Amsterdam umtauschen können oder auch gleich darauf bestehen sollen, in D-Mark zu zahlen. Das wäre doch in Holland kein Problem gewesen. Und dann hätten sie so einem unsicheren Kantonisten wie dem Kurier schon lange klar machen müssen, dass er die Schnauze zu halten habe – und dafür, wenn er wieder rauskommt, auch anständig belohnt würde. Eigentlich versteht sich so was von selbst. Dem ist doch nicht damit gedient, dass da noch fünfzig weitere Leute einfahren, die ihn zudem hassen wie die Pest.

Zur Berliner Töffeligkeit gehört aber meiner Meinung nach auch noch der Selbstmord des Chefs dieses Dealerrings – der war doch schon fast im Rentenalter. Was hätte dem groß passieren können? Die haben doch nur mit Gras gedealt. Viele Kokain-Dealer sind in den letzten Jahren nur für drei Jahre oder so eingefahren, letztendlich. Und der hätte bestimmt noch kürzer eingesessen. Stattdessen beging er gleich in der U-Haft Selbstmord. Immerhin können die anderen ihm jetzt vieles anlasten . . .“

„Du meinst also, dass die Berliner Töffeligkeit mit der Berliner Ökonomie identisch ist?“, hakte ich nach. Meine aus Hannover stammende Dealerin erzählte mir daraufhin, dass sie gerade Thomas Kapielskis neues Buch „Sozialmanierismen“ gelesen habe und dass der Autor doch stets noch versucht hätte, diese Berliner Töffeligkeit als Tugend hinzustellen – und das jedenfalls sei für sie immer identisch mit „Berliner Ökonomie“ gewesen.

Nun sei er, Thomas Kapielski, jedoch in arge Beweisnot geraten – nämlich durch seine Professur in Braunschweig und die Erfolge mit seinen Büchern nebst seiner neu erworbenen Kleinfamilie im Grünen, in Lichterfelde: All das vertrage sich ja eigentlich schlecht mit einem fortgesetzten Lob auf die lütten Arbeitslosenlagen in Neukölln und am Heinrichplatz. Sodass ihm daraus unter der Hand gleichsam eine Eloge auf seine eigene Gewitztheit geworden sei.

„Man kann auch das für Berliner Ökonomie halten, denn dieses Buch wird ganz sicher kein Verkaufserfolg und noch viel weniger ein vorbild- oder beispielhafter Existenzentwurf in Zeiten forcierter Deregulierung.“ (Meine Dealerin hat bereits vier Mal einen Job in einem hauptstädtischen Callcenter verloren.)

Um aber noch einmal auf die Berliner Töffeligkeit zurückzukommen, wollte ich von ihr wissen, was genau sie darunter verstehen würde. „Na, eben dieses Gefühl, alles im Griff zu haben und ganz clever zu sein – und dann aber doch ganz doof zu scheitern!

Nimm als Gegensatz zum Berliner die Schwaben. Die waren bis vor einiger Zeit zu Recht berühmt für ihre Solidität, ihre Bescheidenheit – sie kannten die Grenzen genau. Jetzt gibt es auch bei ihnen mehr und mehr hemmungslose Yuppies, bei denen es ebenfalls nur noch um das ganz dicke Geld geht, alles andere lassen sie hinter sich. Aber dabei sind sie – im Gegensatz zum Berliner – wirklich clever. Verstehst du, was ich meine?

Diese Schwaben scheitern nicht so häufig und so doof wie die Berliner, wenn sie sich ins Geschäftsleben stürzen. Ich mache deswegen nicht gerne Geschäfte mit Berlinern – zur Not linken sie dich nämlich ab. Und sie kommen früher oder später immer in Not, das ist das Problem bei der Berliner Ökonomie!“ Das war schon das Problem bei der preußischen Ökonomie, pflichtete ich ihr bei.

HELMUT HÖGE