„Die Juristen sollten sich zu Hexen fortbilden lassen“

Im kongolesischen Aru wurden im Juni 800 Menschen bei Pogromen gegen „Hexen“ getötet. Jetzt sollen die Täter zur Rechenschaft gezogen werden

BUNIA taz ■ Ein Sondergericht in der nordostkongolesischen Stadt Aru soll in den kommenden Wochen beginnen, die Verantwortlichen für den Tod von 800 Menschen bei „Hexenjagden“ im vergangenen Juni abzuurteilen. 80 Menschen befinden sich derzeit in Aru zwecks Prozessen in Haft, „darunter Schüler und Kinder“, sagt ein Richter in der Provinzhauptstadt Bunia. Insgesamt waren nach den organisierten Pogromen, die weltweit Aufsehen erregten, knapp 140 Menschen festgenommen worden – ein Bruchteil der tatsächlichen Täter.

Massengräber im Busch, betrunkene Milizen, nackte Hexen – die Vorfälle in der entlegenen Region um Aru an der kongolesisch-ugandischen Grenze hatten alle Merkmale eines außer Kontrolle geratenenen sozialen Konflikts.

Am Ursprung der Pogrome lag der Tod eines Kindes. Die Eltern des kleinen Charles im Dorf Adhiku 2 machten für den plötzlichen Todesfall Anfang Mai übernatürliche Kräfte verantwortlich, wie weithin in Afrika bei solchen Ereignissen üblich, und beschwerten sich bei ihrem Gemeindechef. Der stellte daraufhin einen als „Hexenmeister“ bekannten Mann namens Odiki vor ein öffentliches Gericht. Das war der entscheidende Schritt zur Aufhetzung der Bevölkerung. Unter Folter gab Odiki beim öffentlichen Prozess im Dorf Bhuranga am 8. Mai die Namen sechs weiterer Hexen preis. Diese wurden daraufhin mit ihren Familien deportiert und an der ugandischen Grenze ausgesetzt.

Das unerwartet entschlossene Vorgehen der Justiz fand schnell Nachahmer. Überall in der Region entstanden Volksgerichte gegen vermeintliche Hexen, und Dorfchefs bildeten zwecks Aufspürens dieser Personen „Disziplinarbrigaden“ – Milizen aus Jugendlichen, die mit Alkohol und Drogen jagdfähig gemacht wurden. „Die Disziplinarbrigaden gingen von Dorf zu Dorf und zwangen alle Leute, mit ihnen in den Busch zu gehen“, erzählt ein Jurist in der Stadt Bunia, der im Juli als Mitglied einer amtlichen Kommission die Vorfälle vor Ort untersuchte. „Dann richteten sie Tribunale ein. Jemand wurde zum Richter ernannt, und wenn der jemanden verurteilte, wurde er getötet.“

Diese Buschtribunale beschäftigten sich meistens mit ungeklärten Todesfällen der vergangenen Jahre – aber nicht nur. „Man hat damit einen Weg gefunden, alte Streitereien neu aufzurollen“, so der Jurist, der wegen seiner offiziellen Funktion nicht namentlich genannt werden möchte. „Es ging um Macht- und Landkonflikte zwischen Familien.“ Typischerweise würde ein Dorfältester die Altersgenossen eines rivalisierenden Clans als Hexen denunzieren und die „Disziplinarbrigaden“ entsprechend instruieren. „Die Beweise für Hexerei waren lächerlich“, fährt der Jurist fort. „Angebliche Fetische, die man bei Verurteilten fand, waren Blumen, Zwiebeln oder Mangofrüchte. Man entdeckte Tierknochen, deklarierte sie als Menschenknochen und sagte, das sei ein Beweis für Menschenfresserei.“

Im Dorf Nyatsa wurde eine Gruppe von „Hexen“ nackt im Busch ausgesetzt mit der Auflage, sich nie mehr blicken zu lassen. In einem Fall ermutigten die lokalen Behörden die Organisation der Pogrome: „Es wurde ein Hexenmeister aus Uganda geholt, der die Kongolesen testen sollte, ob sie Hexen waren. Die Dörfer der Gegend brachten ihre Hexen zu ihm. Sie wurden dann nach Aru gebracht.“ In der Haft in der größten Stadt der Gegend starben 18 Hexen. Insgesamt kamen bei den Pogromen laut Untersuchungskommission 800 Menschen ums Leben. Erst das Eingreifen der ugandischen Armee Ende Juni setzte dem Treiben ein Ende.

Die Grenzstadt Aru ist aus Sicht des nordöstlichen Kongo ein verrufener Ort, in dem nach Überzeugung der Bevölkerung besonders viele Hexen leben. Die ugandische Zwillingsstadt Arua auf der anderen Seite der Grenze ist Heimat des ugandischen Exdiktators Idi Amin. In der Provinzhauptstadt Bunia heißt es im Volksmund: Wer nach Rache sinnt, besorgt sich am besten in Aru eine Hexe. Aber seit den Pogromen vom Juni geht auch in anderen Teilen des Nordostkongo die Angst vor organisierten Hexenjagden um.

Straflosigkeit wird allseits als das größte Problem beim Umgang mit solchen Vorfällen gesehen. Die Frage, ob es Hexerei überhaupt gibt, stellt hingegen niemand – es ist ein Teil der lokalen Lebenswelt. Wenn jemand ohne offensichtlichen Grund stirbt oder plötzlichen ökonomischen Erfolg oder Misserfolg erlebt, gilt Hexerei als eine mögliche Ursache. „Das Problem für die Juristen ist, dass Hexerei im Straf- und Zivilrecht nicht vorkommt“, analysiert die lokale Zeitung Le Millenaire. „Trotz zahlreicher Geständnisse haben die Gesetzgeber daraus noch keinen Straftatbestand gemacht. Vielleicht sollten sich die Juristen zu Hexen fortbilden lassen, um die Hexerei umfassend zu studieren. Das scheint uns der einzige Weg zu sein, damit sie die materiellen und moralischen Grundlagen einer strafrechtlichen Verfolgung der Hexerei festlegen können.“

DOMINIC JOHNSON