Raus aus Afghanistan – aber wohin?

amnesty international warnt vor humanitärer Katastrophe in Afghanistan. Pro Asyl: Auch Deutschland muss unter Umständen Flüchtlinge aufnehmen. Afghanische Asylbewerber haben bereits seit Februar relativ gute Aussichten auf Anerkennung

von JEANNETTE GODDAR

Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl appelliert angesichts der drohenden Massenflucht aus Afghanistan, die Grenzen nicht zu verschließen. Es sei „nicht ausgeschlossen, dass Europa und damit auch Deutschland sich an der Aufnahme beteiligen muss“, erklärte Carl Kopp, Europa-Referent von Pro Asyl, gegenüber der taz. Zunächst allerdings seien Iran, Pakistan und Tadschikistan dringend gefordert, den aus Angst vor US-amerikanischen Vergeltungsschlägen fliehenden Menschen nicht länger den Zutritt zu verweigern, sagte Kopp. Auch amnesty international warnte gestern vor einer humanitären Krise in Afghanistan. Im Büro der Bundesausländerbeauftragten in Berlin hieß es dazu, es gebe noch keine ernsthaften Überlegungen, Flüchtlinge aufzunehmen.

Auch in der afghanischen Community in Deutschland sorgt man sich um die zahllosen Menschen, die versuchen, das Land zu verlassen. Es sei „allerhöchste Zeit, den Flüchtlingen zu helfen – entweder dort oder hier“, sagte Zabour Zamani, Vorsitzender des Afghanischen Kulturzentrums in Berlin. Angesichts der Tatsache, dass auch in Deuschland immer noch Afghanen von Abschiebung bedroht seien, habe er allerdings „wenig Hoffnung“.

In der Praxis wird zwar bereits seit längerem nicht nach Afghanistan abgeschoben – vor allem, weil keine Flugverbindungen bestehen und das Taliban-Regime sich weigert, den Rückkehrern Pässe auszustellen –, angedroht werden Abschiebungen aber weiterhin: Am 31. August lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFL) den Asylantrag eines jungen Mannes als „offensichtlich unbegründet“ ab, der angab, Neffe zweier ehemaliger kommunistischer Kader zu sein. Er selbst habe 1996 ein halbes Jahr lang in Kabul im Gefängnis gesessen. Eine „skandalöse Entscheidung“, konstatiert sein Anwalt Reinhard Marx. Trotz veränderter Rechtslage „kommt es immer noch vor, dass Leute mitten ins Machtzentrum der Taliban zurückgeschickt werden“.

Grundsätzlich allerdings haben sich die Chancen afghanischer Asylbewerber seit Februar dieses Jahres deutlich erhöht: Damals hatte das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass auch Menschen aus einem Land, in dem eine „quasi staatliche Verfolgung“ herrscht – wie unter den Taliban – unter Umständen Anspruch auf Asyl haben. Seither wurde nach Angaben des BAFL über die Anträge von 2.030 Afghanen entschieden, unter ihnen viele Folgeanträge ursprünglich Abgelehnter. 563 wurden anerkannt. Weitere 682 dürfen im Rahmen des so genannten kleinen Asyls bleiben. Im Durchschnitt liegt die Anerkennungsquote bei Asylanträgen bei nur drei Prozent.