Wettlauf mit der Zeit

Warum der grüne Hase Fritz Kuhn am Ende doch schneller sein könnte als der grüne Igel von der Basis

aus Berlin JENS KÖNIG

Wenn man diese Geschichte als Fabel erzählen würde, dann wäre Fritz Kuhn der Hase und das einfache Parteimitglied der Igel. Wo immer Kuhn, der Parteichef, mit seinen Botschaften zu Terror und Krieg auch hinkommt – der Grüne an der Basis mit seinen Zweifeln ist schon da. Kuhn ist flink, er ist viel unterwegs, und manchmal gelingt es ihm sogar, einen dieser Zweifler zur Selbstaufgabe zu überreden. Dann scheint das Rennen für einen Moment entschieden. Aber wenn der Hase Kuhn am nächsten Feldrand auftaucht, sitzt schon wieder einer dieser Igel da, schwer beladen mit allerlei grünen Bedenken.

Dieser Wettlauf der Parteispitze mit ihrer Basis ist auch ein Wettlauf mit der Zeit. Je näher der erste Gegenschlag der Amerikaner rückt, desto größer werden die Zweifel in den grünen Landes- und Kreisverbänden, ob die Solidarität der Partei mit den USA wirklich so uneingeschränkt sein darf, wie es der Kanzler will. Und so telefoniert der Bundesvorstand unablässig mit den rund 500 Kreisverbänden, schickt Parteichefs und Minister durchs Land, auf dass die Basis versteht, was die Partei eigentlich will: Kampf gegen den Terrorismus ja – aber nur, wenn ein politisches Konzept dahinter steht. Militärschläge ja – aber keine Bombardierung von Zivilisten. Unterstützung der USA ja – aber nicht auf Gedeih und Verderb.

Drei Landesverbände (Hessen, Sachsen-Anhalt, Bayern) haben diese Position der Parteispitze am Wochenende ausdrücklich mitgetragen, vier andere jedoch (Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein, Thüringen) haben sich bereits gegen eine Beteiligung der Bundeswehr an möglichen Militäraktionen ausgesprochen. Auch die Stimmung in der Bundestagsfraktion ist insgesamt labiler, als es die vier Gegenstimmen und drei Enthaltungen bei der Abstimmung in der vorigen Woche im Parlament vermuten lassen. So könnte also der Wettlauf zwischen Hase und Igel auch darüber entscheiden, ob die Grünen den Krieg gegen den Terror überstehen oder ob am Ende nicht nur die rot-grüne Koalition, sondern auch die grüne Partei Opfer dieses Krieges wird.

Bei so viel politischem Existenzkampf kann es schon mal passieren, dass die Partei die herbe Niederlage bei einer Landtagswahl, wenn schon nicht mit Gleichgültigkeit, so doch mit kühler Professionalität zur Kenntnis nimmt. Natürlich haben sich Bundesvorstand und Parteirat gestern noch einmal mit den Ergebnissen von Hamburg beschäftigt. Aber die Erschütterung über 5,5 Prozentpunkte Stimmenverlust in einer einstigen Hochburg der Grünen hielt sich auch am Montag in Grenzen. Die Erforschung der Ursachen für diese Niederlage mündete folgerichtig in der sensationellen Erkenntnis der grünen Spitzenkandidatin Krista Sager, dass die Wahlen in Hamburg von der inneren Sicherheit geprägt worden seien – einem Thema, das den Grünen nun mal nicht liege.

Von Claudia Roth bis Joschka Fischer sprachen gestern alle von einer „schwierigen Situation“ für die Grünen, aber kaum einer meinte damit, dass die Partei zum 17. Mal hintereinander bei Landtagswahlen verloren hatte. Davon schien vor der Wahl ohnehin jeder in der Parteiführung ausgegangen zu sein. Seit Kuhn Parteichef ist, spricht er nach jeder Niederlage davon, dass die Grünen auf Normalmaß zurechtgestutzt werden. Seit 1998 würden sie immer in Bezug auf ihre goldenen Jahre verlieren. „Wir müssen uns wieder daran gewöhnen, dass 8 oder 9 Prozent unser normales Niveau aus Länderebene sind“, sagt auch Fraktionschef Rezzo Schlauch.

So betrachtet waren die 8,5 Prozent von Hamburg in der momentan so angespannten Situation fast schon wieder ein Erfolg für die Grünen. Die Partei hat erleichtert zur Kenntnis genommen, dass sie keine Stimmen an die so genannten Anti-Kriegs-Parteien verloren hat, also weder an den Regenbogen, die linke Abspaltung der Hamburger Grünen, noch an die PDS. Das zeige, so Kuhn, dass die Diskussion über einen Militäreinsatz als Antwort auf die Terroranschläge die Partei zwar verunsichert habe. Aber die hohen Stimmenverluste in Hamburg seien damit nicht zu erklären. Für Bundesgeschäftsführer Reinhard Bütikofer liegt in dieser Erkenntnis sogar noch eine wichtige Botschaft für die Partei: „Wer meint, er müsse die Grünen kaputtmachen“, sagt er mit Blick auf die Regenbogen-Fraktion, „der macht sich selbst kaputt und stärkt am Ende sogar noch den Rechtsblock.“

Die Grünen machen das, was Parteien am liebsten tun: Sie blicken nach vorn. In den nächsten Wochen gilt es, die grüne Basis von der vermeintlichen Richtigkeit der Argumente ihrer Parteispitze zu überzeugen. Weil daran möglicherweise die gesamte Zukunft der Grünen hängt, werden alle anderen Themen aus dem Weg geräumt. Der Parteirat beschloss gestern, dem Parteitag im November, der ursprünglich das neue Grundsatzprogramm der Grünen verabschieden sollte, eine neue Aufgabe zu geben: Dieser soll jetzt eine gemeinsame Position der Partei zum Kampf gegen den Terror beschließen, einschließlich der Haltung der Grünen zu militärischen Maßnahmen dabei. Für den 6. Oktober ist ohnehin schon ein außerordentlicher Länderrat geplant.

Das Kalkül der Parteispitze ist offensichtlich: Sie möchte die harte Diskussion der Grünen über ihre Haltung zu militärischer Gewalt im Kampf gegen den Terror als eine besondere Stärke der Partei verkaufen. Aber natürlich möchte sie diese Diskussion zuallererst zu einem Ergebnis führen, dass dann für die gesamte Partei bindend sein soll. Dass die Bundestagsfraktion wahrscheinlich in die Verlegenheit kommt, vor dem Parteitag im November über eine Beteiligung der Bundeswehr an Militäraktionen abstimmen zu müssen, ist durch diesen Fahrplan nicht zu ändern. Fritz Kuhn weiß ohnehin, dass der Existenzkampf seiner Partei vor allem Ausdauer verlangt. Manchmal sind Hasen am Ende doch schneller als Igel.