Ein Mann, ein Programm

Trotz dünnem Programm und Personal konnte Rechtspopulist Ronald Schill bei Hamburger Bürgerschaftswahl punkten

kann „geistige Verbotsschilder“ nicht ausstehen

aus Hamburg HEIKE DIERBACH
und ELKE SPANNER

Dass die Dummen Ronald Schill gewählt haben, wollte der Hamburger Landeswahlleiter Dirk Reimers nicht bestätigen. Diese Analyse wäre auch unvollständig: Es waren vor allem ältere Männer mit niedrigem Bildungsniveau, die den Richter und seine Partei Rechtsstaatlicher Offensive (PRO) gewählt haben. Auf diesen Trend deuten die Zahlen und Analysen des Statistischen Landesamtes Hamburg, der Forschungsgruppe Wahlen und von Infratest dimap zur Hamburger Bürgerschaftswahl hin.

Das Thema innere Sicherheit, da sind sich die Meinungsforscher einig, hat die Wahl maßgeblich entschieden. Gut für Schill und seine Partei: Drei Viertel seiner Wähler gaben dieser wegen der Positionen zur inneren Sicherheit ihre Stimme. Es sind vor allem ältere und da insbesondere männliche Wähler, „die sich subjektiv unsicher fühlen“, hat das Statistische Landesamt herausgefunden. Unter den über 60-Jährigen wählten 28,7 Prozent Schill. Am wenigsten Erfolg hat der Richter hingegen bei Frauen zwischen 25 und 45 Jahren: Sie gaben ihm nur zu 13 Prozent ihre Stimme.

Ebenso großen Einfluss auf die Wahlentscheidung hatte das Bildungsniveau der Wähler. Von den Hamburgern mit einfacher Schulbildung (höchstens mittlere Reife) wählte fast jeder vierte Schill. Bei den einfachen Arbeitern erreichte er gar 29 Prozent. Unter den Abiturienten hingegen liegt der Anteil mit 12 Prozent deutlich unter dem Landesdurchschnitt.

Doch Schill polarisiert die Hamburger auch geografisch. Vor allem in den Außenbezirken konnte er reüssieren, in der Innenstadt hingegen weniger. In zwei von sieben Bezirken konnte die „Schill-Partei“ gar die CDU überholen und zweitstärkste Kraft werden. Dabei lässt sich aber nicht sagen, dass die ärmeren Stadtteile generell Schill gewählt hätten: In Vierteln mit vielen Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern hat er ebenso viel Erfolg wie in solchen mit wenigen. Lediglich die ganz Reichen meiden ihn: Die beiden Viertel, in denen Schills Anteil unter 10 Prozent liegt, sind denn auch bevorzugte Wohnlagen. Aber auch in Hamburgs ärmsten Stadtteil St. Pauli bringt Schill es nur auf 11 Prozent. Die geografische Aufteilung lässt vermuten, dass es weniger ein geringes Durchschnittseinkommen ist, das anfällig für den Rechtspopulismus macht. Die Viertel, in denen Schill über 25 Prozent erhielt, sind reine Wohnviertel, in denen es nur wenige Kinos, Theater oder Musikclubs gibt.

Fast 40.000 Wähler der Schill-Partei kamen nach Erhebungen von Infratest dimap von der SPD, ebenso viele von der CDU.

Insgesamt fällt der gesunkene Anteil der Splitterparteien auf. Bei der letzen Wahl vereinigten sie noch 19,1 Prozent der Stimmen auf sich – diesmal kommen sie nur noch auf 4,3 Prozent. Hier konnte Schill beträchtliche Stimmen binden, vor allem von ehemaligen Anhängern der Deutschen Volksunion (DVU) und der „Republikaner“. Hinzu kommen rund 30.000 mobilisierte Nichtwähler. Relativ resistent zeigten sich hingegen die Anhänger von FDP und GAL.

Und wie sieht es mit den Gewählten aus? Mit seinen 19,4 Prozent muss Schill 25 Sitze in der Bürgerschaft besetzen. Auf denen werden überwiegend Männer und nur 3 Frauen Platz nehmen, die auf der politischen Bühne der Hansestadt bisher gar nicht oder nur kaum in Erscheinung getreten sind. Die Schill-Partei wurde bislang in der Öffentlichkeit einzig von ihrem Gründer und ersten Vorsitzenden repräsentiert.

„In den etablierten Parteien sitzen nur Schlafmützen“

Mit der Galionsfigur allein hat die Partei ihren Wahlkampf bestritten. Und ausschließlich mit dem Thema innere Sicherheit. Im Vorfeld wurde der Partei von Kritikern vielfach die Kompetenz abgesprochen, eine umfassende Politik in Hamburg zu machen. Daraufhin formulierte Schill weitere Ziele, mit denen er zwar nicht den Wahlkampf bestritt, aber zumindest das dünne Parteiprogramm auffüllte. Als Bildungsziel ist seither benannt, dass „Leistung und Anstrengung wieder anerkannt und gefördert werden müssen“. Wirtschaftlich will die Partei den „sofortigen Stopp aller aus ideologischen Gründen herbeigeführten verkehrs- und wirtschaftsbehindernden Einschränkungen“. Unter Sozialpolitik versteht die Partei das Bekenntnis, dass „Mann und Frau gleichwertig sind“.

Nur die Freundin von Schill, Kathrin Freund, durfte sich im Wahlkampf stets an seiner Seite zeigen. Sie wolle Bildungspolitik machen, kündigte die 34-jährige Kauffrau bei ihrer Nominierung auf Listenplatz 4 an. Nach ihr auf Platz 5 wurde Dirk Nockemann nominiert. Der bezeichnet sich selbst als „ganz normalen Bürger“. Ein bisschen Protest sei dann aber doch dabei gewesen, als er im vergangenen Jahr bei Ronald Schill anrief und ihm seine Unterstützung anbot. Denn „Denkverbote“, verriet er seinem Vorsitzenden, könne er nicht ausstehen – „geistige Verbotsschilder von genau den Leuten, die vor 20 Jahren Häuser besetzten und heute Meinungen“, sagt der Verwaltungsjurist, der die Leitung des parteiinternen „Arbeitskreises Ausländerrecht“ übernommen hat.

Die Abgeordneten, die politisch in Erscheinung getreten sind, blicken vor allem auf eine Mitgliedschaft in der CDU zurück. Der 48-jährige Soldat Mario Mettbach, Schills Parteivize, hatte sich für die Union bereits in Bezirksparlamenten versucht. Norbert Frühauf, Listenplatz 3, war mit 15 Jahren in die Junge Union eingetreten. Bis er erkannte, was für „Schlafmützen“ in den etablierten Parteien sitzen, wie der 42-Jährige heute sagt. Der Rechtsanwalt will sich in der Schill-Partei um Wirtschaftspolitik kümmern. Förderung des Mittelstandes benennt er als politisches Ziel. Auf Listenplatz 8 sitzt Frank Michael Bauer, der zuvor vergeblich in der Statt-Partei des ehemaligen HSV-Präsidenten Jürgen Hunke versucht hatte, politische Karriere zu machen. Als die Schill-Partei sich gründete, witterte er eine neue Chance und trug sich als einer der Ersten auf der Mitgliederliste ein.

Das Wahlergebnis hat aber gezeigt, dass sich die Anhänger Schills nicht alleine aus dem CDU-Spektrum rekrutieren. Auch das spiegelt sich in der Liste der Bürgerschaftskandidaten wieder. Auf Platz 6 zieht Manfred Silberbach in die Bürgerschaft ein. Der 66-jährige Rentner ist der Einzige mit Parlamentserfahrung: Fast 16 Jahre saß der gelernte Maschinenschlosser bis 1993 in der Bürgerschaft. Für die SPD, die er nach fast 40 Jahren Mitgliedschaft frustriert verlassen hatte. Weil sie ihm zu weich war.