: „Mozart ergreift Partei für die Frauen“
■ Nach Oldenburg und Bremerhaven beginnt übermorgen auch in Bremen die Opernsaison: Mit Mozarts „Zauberflöte“. Regisseur Gisbert Jäkel über seine Inszenierung, Ideologien und Mozarts Todessehnsucht
Die erste Opernpremiere in der neuen Spielzeit am Bremer Goetheplatztheater ist Wolfgang Amadeus Mozarts vorletzte Oper „Die Zauberflöte“. Damit rundet Bremen seinen bemerkenswerten Mozartzyklus ab, der mit Frank Hofmanns „Idomeneo“, Karin Beiers „Die Hochzeit des Figaro“, Sabine Hartmannhenns „Don Giovanni“ und Anthony Pilavachis „Cosi fan tutte“ erregende und anregende Regiekonzepte präsentierte, so unterschiedlich sie auch waren - vielleicht darf man zu diesem erlesenen Reigen auch noch Herbert Wernickes „Clemenza di Tito“ aus dem Jahr 1984 zählen. Den Abschluss mit der „Zauberflöte“ macht nun Gisbert Jäkel, dessen Grazer Ringinszenierung überregional außerordentlich beachtet wurde. Im Gespräch mit der taz macht er keinen Hehl aus der ungemeinen Vielschichtigkeit des Werkes und der damit verbundenen Schwierigkeit, klare Linien für eine Konzeption zu finden. Genau die liefert Mozart nicht.
taz:Wenn man bedenkt, dass in „Die Hochzeit des Figaro“ 1786, in „Don Giovanni“ 1787, in „Cosi fan tutte“ 1789 zeitgenössisches Geschehen und reale Zeit auf die Bühne gestellt wird, dann muss ja besonders auffallen, dass Mozart 1791 mit „Die Zauberflöte“ ein Märchen, einen Traum schreibt. Glaubt er im Jahr seines Todes nicht mehr an die Veränderbarkeit der Gesellschaft? Immerhin ein Aspekt, der die drei anderen Werke - wenn auch mit immer größerer Resignation - entscheidend prägte. Welches gesellschaftlich-politische Umfeld reflektiert die Zauberflöte?
Gisbert Jäkel: Der Begriff „Märchen“ ist mir zu unverbindlich und animiert dazu, in kindlich-wuchernden Fantasien zu schwelgen. Es handelt sich aber um ein vielschichtiges Werk, tatsächlich große Oper, und zwar für Erwachsene. Kinder erinnern sich meistens an die böse Königin der Nacht, den guten Sarastro, den gierigen Mohr und vor allem den lustigen Papageno. Erwachsene sollten sich auch mit der Mehrschichtigkeit befassen und der tiefen Melancholie und Todesnähe, die dem Werk auch innewohnt. Nicht umsonst haben sich Scharen von Psychoanalytikern mit dem Stück befasst und Goethe mit dem Versuch, eine Fortsetzung zu schreiben. Man kann in der Zauberflöte durchaus einen realen und psychologischen Gehalt herausarbeiten.
Das Zerstückelte, das Disparate in diesem Stück ist ja nur scheinbar - , aber es ist wahnsinnig komplex und eine nur psychologische Analyse wird dem Stoff auch nicht gerecht. Es bedarf künstlerischer Setzung und Behauptung wenn man das Stück nicht als Märchen- und Nummerntheater abspulen will.
Was heißt das genau? Zum Beispiel in Bezug auf das wichtigste in dieser Oper, den Gegensatz zwischen Männer- und Frauenbild? Sarastro ist im ersten Akt über die Schilderung der Königin der Nacht der Böse, im zweiten Akt scheint es umgekehrt. Tamino stürmt im Auftrag der Königin Sarastros Burg, unterwirft sich aber dann den Priestern. Pamina steht dazwischen - zwischen ihren Eltern, wie so manche Deutung sagt?
Das Stück ist auch ein tief melancholisches Stück übers Älterwerden, die Art und Weise, wie Sarastro Pamina versteht und sie anschaut, ist auch die Erinnerung an Sehnsucht und Begehren. Eindeutig, wie ich finde, ergreift Mozart Partei für die Frauen. So zerbrechlich, so filigran, mit einem so heftige emotionalen Druck wir die Königin der Nacht kennenlernen, so dumpf und ideologisch ist Sarastro. Der bläst sich auf mit Schönrednerei, lässt sich bejubeln von einer willenlosen Anhängerschaft ... In der Königin der Nacht gibt es eine unbändige Leidenschaft.
Da ist ja noch mehr: Sarastro lässt zu, dass der Mohr Monostatos sich Pamina sexuell zu nähern versucht ...
Monostatos ist eine mitleiderregende Figur. Die geistige Vergewaltigung, und das ist eben viel schlimmer, findet durch Sarastro statt. Der hat das Mädchen geraubt und inszeniert mit solchen Sprüchen wie „In diesen heil‘gen Hallen kennt man die Rache nicht“ sein Selbstbild. Es ist verlogen. Zwei Sätze später spricht er jedem ab, ein Mensch zu sein, dem seine Lehren nicht gefallen.
Und der Naturjunge Papageno?
Er ist Beauftragter der Königin der Nacht, sammelt Vögel... für mich sind diese Vögel Menschen. Papageno lebt direkt, ist aber auch voller unerfüllter Sehnsucht. Sein Wesen ist so ablesbar, dass keine Frau ihn will. Er löst bei Frauen den Schauder des Geheimnisvollen nicht aus, dafür ist er zu offen. Er sucht direkt, was in der Oper das Thema ist: Ohne Liebe bleibt nur der Tod.
Papagena?
Papagena ist eine Erfindung der Priester, um den Papageno aus dem Gefecht zu nehmen. Der ist für Sarastro in seinem Lebensmut eine Gefahr. Aber wie gesagt, man kann das Stück sicher auch anders sehen, es erlaubt viele Interpretationen. Und wenn ich hier etwas formuliere, dann mit aller Unsicherheit, wo der Sinn wirklich ist.
Bei Mozart siegt das Paar, in doppeltem Sinne, denn es hat neben Tamino und Pamina in Papageno und Papagena eine zweite Ausprägung. Was bedeutet das?
Ich weiß nicht, ob ich es einen Sieg nennen würde. Die beiden werden aufgesogen in das System Sarastros. Tamino verändert sich, weil er durch das System Sarastro manipuliert wird. Pamina verändert sich dadurch, dass ihr Gewalt angetan wird und ihr der Lebenshalt, den sie in der Liebe sucht, immer wieder entzogen wird. „Ach, ich fühl‘s, es ist verschwunden“, Paminas zentrale Arie, scheint mir auch ein Zeugnis der tiefen Todesahnung Mozarts zu sein. Ich bin sicher, Mozart und der Librettist Emmanuel Schikaneder wollten auch etwas über die manipulative Befleckung unschuldiger Jugend durch eine verhärtete Erwachsenenwelt, vertreten durch die Königin der Nacht und Sarastro, erzählen. Vielleicht wollten sie uns auch eine Warnung geben, wie in einer Gesellschaft der Gleichschaltung (Sarastros Reich) die schönsten und individuellsten Stimmen in einem ideologisierten Jubelchor untergehen. Bei mir verlassen Tamino und Pamina im letzten Augenblick den Ort des Geschehens und der Jubel des Chores findet nur noch in Sarastros Vorstellung statt. Übrig bleiben die beiden Auslöser des Geschehens - Sarastro und die Königin der Nacht - in Einsamkeit, da nicht Liebe, sondern Hass und Ideologie der Antrieb des Verhaltens war. Es ist ein Todesstück, etliche Male ist der Tod die Lösung, denken Sie an Pamina, an Papageno. Es gibt im Sonnenkreis des Sarastro keinen Verweis auf ein Paradies, es gibt nur inszenierte Behauptung, die allerdings voller Ahnung und Empfindung zur Erlösung ist . Ute Schalz-Laurenze
Die Premiere ist übermorgen um 19.30. Weitere Termine: 29. September,3./7./31. Oktober.
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