Als Ritter sterben

Reiten mit dem harmlosesten Wahnsinnigen on earth: „Recording Quixote“ im Theater Zerbrochene Fenster

Ein Mann allein im Hotelzimmer der schäbigen Kategorie. Er krampft sich zusammen, murmelt, raucht. Misst die Anzahl der Schritte vom Bett bis zur Wand. Wir sehen einen Verstörten, der sich für einen Auserwählten hält: „Ein Ritter bin ich, als Ritter werde ich sterben.“ Das beruhigt ihn sekundenlang.

Der schrecklichste der Schrecken ist der Mensch in seinem Wahn. Gerade hat man es in der Wirklichkeit sehen müssen und bekommt es seitdem pausenlos kommentiert und erklärt. Im Theater Zerbrochene Fenster bricht nun die Gruppe „format 01“ eine Lanze für den Realitätsverlust: „Recording Quixote“ ist ein Soloabend nach Miguel de Cervantes’ barockem Riesenroman eines glücklich Verwirrten.

Der verarmte Adelige, der im Roman nach übermäßigem Genuss von Ritterepen als Don Quixote von La Mancha die spanische Provinz durchstreift und mit Windmühlen ficht, ist einer der harmlosesten Verrückten der Weltliteratur. Auf der Bühne hat der Ritter von der traurigen Gestalt eine Pistole und eine Videokamera zum Begleiter. Nach übermäßigem Genuss von Cervantes hält sich hier einer für eine Gestalt aus dessen Buch. Er prügelt sich mit der Kamera und vermeldet in barocker Sprachflut, dass sein Spleen Sinn macht – auch wenn ihn die Welt nicht versteht.

Immerhin, die Kamera filmt ihn. Auf dem Bildschirm ist sein Gesicht und dessen vom Fernseher abgefilmtes Abbild zu sehen. Kopien von Kopien, zwischen denen die Figur oszilliert. Mal ist er Motivationstrainer und wirbt für „neue Energie“. Dann soll die Welt von sinnlosem Gesindel gesäubert werden, und er rapt Rezepte für Sprengstoff über Technomusik. Im Radiointerview – gegen den Ritter wird mittlerweile wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung ermittelt – schickt er der Geliebten über den Äther einen Wortblumenstrauß. Sie erscheint auf dem Fernsehschirm. Er greift zur Gitarre, bringt ihr ein Ständchen.

Wenn zu Schunkelmusik „Don Quixote, der Schotte“ durchs Video (Timm Ringewaldt) flippt und in Festzeltstimmung Pappwindmühlen zerlegt, beginnt das Publikum glücklich zu quietschen. Getreu den Erläuterungen, die Nabokov im Programmheft über die vielen Facetten Don Quixotes abgibt, zeigt Henning Fritschs Inszenierung das ganze Darstellungsspektrum von Psychorealismus bis Trash. Jörg-Heinrich Benthien trägt diesen Kampf mit Quixotes Chimären souverän und unterhaltend aus. Doch warum Quixote reitet, was diesen Mann zur Flucht in den Romanwahn motiviert – „Recording Quixote“ verzeichnet es nicht.

Am Ende steigt Quixote aufs Ross zurück: „Ich werde es nie unterlassen, für eure Bedürfnisse zu sorgen“, bekennt der Mann mit innigem Ernst. Da ist es wieder: das Bild des fahrenden Ritters, die Hoffnung auf harmlosen Wahnsinn. KAI SCHUBERT

Nächste Vorstellungen: 28. 9.–1. 10., und 5.–8. 10., jeweils 20.30 Uhr, Theater Zerbrochene Fenster, Schwiebusser Str. 16, Kreuzberg