wie ich einmal in österreich in einen david-lynch-film geriet von ARNO FRANK
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Schrittgeschwindigkeit ist das höchste der Gefühle, wenn wochenends Ausflügler in kilometerlangen Karawanen nach Hause drängen. Links Berge, rechts Berge, vorne Stau, hinten Stau: Nadelöhr Österreich. Von Vorteil ist daher, das kurvenreiche Alpenland mit dem Motorrad zu erkunden und dabei fröhliches Kolonnenspringen zu betreiben, will heißen: ungebremst an jenen vorbeizurauschen, die da stehen – ungeachtet des Gegenverkehrs. So sind wir Kradler, und wir sind es gern. Gern gesehen wird das natürlich nicht, an jeder Ecke locken Verbote: „Übertrete mich!“ Schließlich müssen die Österreicher, was ihnen an Autobahnmaut entgeht, durch Bußgelder auf der Landstraße wieder hereinholen.

An jenem sonnigen Nachmittag bin ich auf dem zügigen Rückweg aus dem idyllischen Kärnten. Eine beim letzten Tankstopp genossene Selbstgedrehte nötigt mich zu beschaulicher, ja somnambuler Fahrweise – eine präventive Maßnahme, die außer den berüchtigten „blood shot eyes“ keine weiteren Nachteile birgt. Im Gegenteil: Man entzückt sich an zerplatzenden Insekten auf dem Visier, zischt Ortsnamen wie Feichtbüchel oder Waichtpiechl in den Fahrtwind und prüft sporadisch, ob’s verkehrstechnisch „knapp“ wird oder „reichen könnte“.

Kurz vor einer Senke wird es dann knapp, ein Stau endet. Also flink am Hahn gedreht, links vorbeigehen, gestrichelte Fläche überfliegen, mitten auf die Kreuzung, mitten in die Bredouille: Rote Kelle bremst den Drang, Fluchtreflex, Verkehrskontrolle, Polizei. Feierabend.

Während ich mich noch frage, ob meine Sünden denn in Schilling überhaupt zu begleichen seien, stiefelt der Polizist langsam auf mich zu. Ich feile gerade an einer Erklärung für meine roten Augen („Heuschnupfen“), als er sich vor mir aufbaut. Und ich blicke – in mein eigenes Gesicht! Bin ich in einen David-Lynch-Film geraten? In Österreich?

In Cartoons fällt bei solchen Gelegenheiten immer die Kinnlade auf den Boden, während die Augen aus den Höhlen schießen. Auch mein Gegenüber scheint irritiert. Wir gleichen uns aufs Haar. Wir sind zwei Versionen eines Popsongs, verschiedene Remixe für verschiedene Geschmäcker. Beide sprechen wir kein Wort. Starren uns an. Autos schnurren vorbei. Der abkühlende Motor tickt.

Er, professionell, fasst sich als Erster: „Ham S’ Ihre Papiere dabei?“ – „Ja, freilich“, sage ich, reiche ihm meinen Pass und strahle in dieses mir doch so unverhofft vertraute, eigentlich sympathische Gesicht. Von dort kann nix Böses kommen. Und tatsächlich gibt er mir, unverwandt lächelnd, meine Papiere wieder. „Eilig ham S’ es, gell?“ – „Ja, freilich“, wiederhole ich. „A bisserl langsamer geht’s auch?“ – „Oh ja, unbedingt, gerne doch!“

Dann murmelt er noch ein „Komisch is’ scho’ . . .“, bevor er Gnade vor Recht ergehen und mich fahren lässt. Ich folge noch ein paar Kilometer meinem „Lost Highway“, mit Angelo Badalamenti auf dem Sozius. Von der nächsten Telefonzelle aus rufe ich zu Hause an. Was war das für eine Erleichterung, meine Stimme auf dem Anrufbeantworter zu hören.