: a prayer service
Am Sonntag fand im Yankee-Stadion in der Bronx die große Gedenk- und Trauerfeier für die Opfer des Terroranschlags auf New York statt. Eine mit Stars und politischer Prominenz bestückte Station auf dem schwierigen Weg zur so genannten Normalität
von KATHRIN RÖGGLA
man wird natürlich gleich angesprochen – ein reporter der la-times stellt sich als reporter der la-times vor. er möchte meinen namen notieren, mein alter und wen ich verloren habe bei dem unglück. friends or family? man könnte einen sticker haben, einen grünen, auf dem „family“ steht. hat man aber nicht. der reporter kann in mir also kein gegenüber entdecken und geht sofort zum nächsten über. „michael, 38, lost a friend.“ aha. „tell me something about it!“
und über uns schließt sich schon ein anderer kosmos. nämlich der der waren beziehungsweise geschenke, die man uns ständig zusteckt auf unserem weg ins yankee- stadion: wasser und saftflaschen schon beim u-bahn-ausgang, taschentücher beim stadioneingang, gleich dahinter rosen und ein paar schritte weiter plüschtiere, die durchaus ausmaße annehmen können – „to comfort us“. drinnen zwischen den zuschauertribünen dann fahnen, die man uns schon mit beiläufigerer geste in die hand drückt, eine gebetskarte und poster, auf denen „heroes“ steht, und, als ich sitze, bekomme ich auch noch einen begriff zugesteckt: „paraphernalia“, aber das ist meine begleitung, die mir erklärt, dass man so dieses phänomen der geschenke, der „ausrüstung“ nennt.
und das ist das wunderbare – es gibt hier eben immer diese vokabeln, die alles in den griff zu kriegen scheinen, wozu man im deutschen eine ganze theorie bräuchte. vokabeln wie „paraphernalia“ oder wie „jingoism“, welches die leeren rhetoriken in den medien bezeichnet, die nur auf emotionale effekte abzielen, eben jene bush-diktion, diese vermischung von fanatischem patriotismus und religiösen gefühlen, die sich, wie mir erzählt wird, vor jedem baseball-spiel wiederholt. das gehe eben so: flaggen, hymne, priestersegen, spiel. das sei normal.
und normalität wollen wir doch wieder erleben, ja, man möchte wieder in den alltag rein, doch dazu braucht es im moment eben ein bisschen mehr als alltag. und das ist eigentlich das anstrengende. alleine die verschiedenen richtungen, in die dieser normalisierungsprozess erst einmal geht. denn die kollektive hysterie der ersten woche ist längst in viele disparate stimmungen zerfallen, denen man nun in abfolge ausgesetzt ist, bis man dermaßen erschöpft ist, dass man sich wieder nach normalität zu sehnen beginnt. und schon fängt das ganze wieder von vorne an.
im grunde weiß niemand, was los ist, und dann wird schon mal einem prayer-service im yankee-stadion eine „heilende“ wirkung zugeschrieben – es ist ja durchaus beeindruckend: „we shall overcome!“, gesungen vom „boys and girls choir of harlem“.
doch alles halb so wild heute, weil halb voll. und nicht mal das. bei weitem nicht. das yankee-stadion ist nicht einmal zu einem drittel gefüllt: viel ist nicht los an diesem sonntag, trotz des großen aufgebots. neben den stars wie placido domingo oder bette middler, bürgermeister giuliani und den clintons ist der governor von n. y. und senator schumer gekommen, um der opfer zu gedenken – und zahlreiche oberhäupter und hochrangige würdenträger aller möglichen kirchen. und militär. und fahnen. doch alles halb so wild, weil immer dieselbe story: das klatschen, das skandieren: „u. s. a.! u. s. a.! u. s. a.!“ und: „rudi! rudi! rudi!“ für giuliani, der an popularität in den letzten beiden wochen immens gewonnen hat. ob er wohl doch noch mal bei den anstehenden bürgermeisterwahlen kandidieren wird?
oprah winfrey, die hier den master of ceremony abgibt, nennt ihn sogar den „mayor of america“, was ihr publikum mit großer begeisterung aufnimmt. und giuliani sitzt da und grinst. er kriegt sich kaum ein und strahlt sich durch die mehrstündige veranstaltung durch, ein firmling, der sein neu entdecktes faible für die multikulturelle gesellschaft, für die „open society“ nicht alleine in seinem gesicht behalten möchte.
zeit, die fleet-werbung zu betrachten, hat man jedenfalls genug. ebenfalls die ständig durchlaufende leuchtschrift „a prayer for america“ vor wehender flagge. es hypnotisiert einen nicht wirklich, mehr schon die in einem spalt des stadions sichtbar werdende u-bahn, die in einer leichten schräge nach unten vorbeidonnert. also wieder einmal verkehrsmittel als uramerikanisches bild der hoffnung?
das ist im moment eher schwierig – zumindest was u-bahnen betrifft. auf meinem weg ins yankee-stadion erlitt ein mann neben mir eine panikattacke, und am abend zuvor erklärte mir ein literaturwissenschaftler der nyu (new york university) durchaus ernsthaft, er glaube 100-prozentig an eine giftgasattacke in der u-bahn. das meistgekaufte buch bei amazon ist im augenblick „germs: biological weapons and america’s secret war“. besser, man kümmert sich auf rationalere weise ums überleben. beschäftigt sich mit politischen vorgängen, wie es nicht wenige machen.
nicht nur demonstrationen rund um den union square finden statt, auch zahlreiche teach-ins, talks in der nyu, wo man linke wie amy goodman von „democracy now!“ auf dem podium reden hören kann mit den klassischen agitprop-gesten: rudernde arme in richtung staunende studenten, als wolle sie die kenntnis um die amerikanische außenpolitik aus ihnen hervorschaufeln. und es ist so voll, dass der einzelne sicherheitsmann, nachdem er mehrmals die nachdrängelnden leute aufgefordert hat, den raum zu verlassen, nur melancholisch, mehr zu sich selbst als in sein walkietalkie, sagt: „the folks are not cooperating.“ und nach einer kleinen pause: „absolutely not.“ und man kooperierte natürlich doch und gerät wieder auf die straße. oder in den „most serious sex club in town“, wo sich studenten und punks auf einer bühne zaghaft auspeitschen. einer bühne, in deren mitte eine us-flagge angebracht ist. oder neben bill, der einem die amerikanischen himmelsrichtungen erklärt: schon mal links und rechts, sagt er, das gäbe es nicht im hiesigen diskurs, der funktioniere anders.
meine frage nach opposition bleibt aber nicht unbeantwortet: „lobbies oder grass-roots“, sagt er, „consumer advocats, wie ralph nader einer war in den 70er-, 80er-jahren.“ jedenfalls finde vieles auf der lokalen ebene statt, getragen vom bild der machbarkeit, eingebettet in einen juristischen diskurs – übrigens: einen friedensmarsch werde es auch geben, nach washington. ja, es empfiehlt sich, neben menschen wie bill zu landen. vorerst aber finde ich mich im yankee-stadion vor so einem transparent wieder: „proud to be an american and proud to be a sikh“. immer auf die normalität zu. muss doch zu schaffen sein.
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