Schlimmer Terrror, süße Worte

Der russische Präsident Wladimir Putin nutzt seine Rede im Bundestag, um sich dem Westen als bester aller Terroristenjäger zu empfehlen

aus Berlin PATRIK SCHWARZ

Am eindrücklichsten war die Sprache. Bis auf einige einführende Worte hat der russische Präsident Deutsch gesprochen. „Eine außergewöhnliche Geste“, wie Bundestagspräsident Wolfgang Thierse unter dem Beifall der Abgeordneten meinte – vor allem aber der Schlüssel zur Wirkung von Putins Auftritt. Statt des teilnahmslosen Singsangs der Dolmetscher hörten die Parlamentarier einen Wladimir Putin, der Vertrauen durch Vertrautheit herstellte: Sein Deutsch war fast akzentfrei, sein Tonfall warm bis werbend und seine Rede gespickt mit Verbeugungen vor der gemeinsamen russisch-deutschen Geschichte.

Putins Analyse vom Untergang des Sowjetimperiums fiel so ungerührt aus, als habe sich der frühere KGB-Agent nie als Schutz und Schild der KPdSU verstanden. Unter den Bedingungen des Informationszeitalters habe „die totalitäre stalinistische Ideologie“ der Demokratie nichts entgegenzusetzen gehabt, bilanzierte er trocken. Nun gehe es darum, ein geeintes Europa zum „Vorboten“ einer geeinten Welt zu machen. Damit war Wladimir Putin schon nach den ersten fünf Minuten beim zentralen Anliegen seines Auftritts angelangt: Zum wahren Mittelpunkt werde Europa erst, sagte der Präsident, wenn es sich mit den Potenzialen Russlands „vereinigen“ könne. Der Gast aus dem fernen Moskau betätigte sich am Rednerpult des Bundestages als Architekt eines neuen Europas – mit einer Selbstverständlichkeit, wie sie an diesem Ort sonst nur die Joschka Fischers und Gerhard Schröders an den Tag legen.

Dabei griff der oft als nüchtern beschriebene Staatschef durchaus zu Überraschungseffekten. Wie es denn zu den fürchterlichen Anschlägen in den USA habe kommen können, fragte er seine Zuhörer, um dann zu antworten: „Ich glaube, dass wir alle daran schuldig sind, vor allem wir Politiker.“ Der Grund: „Wir leben weiterhin im alten Wertesystem.“ Das Wort „wir“ fiel oft in seiner Rede. Wir sprächen von Partnerschaft, aber wir hätten noch immer nicht gelernt, einander zu vertrauen – „trotz der vielen süßen Reden“.

Unter neuem Denken versteht der russische Präsident konkret: eine Allianz gegen den Terrorismus, die sich nicht auf die Verfolgung der Attentäter von New York und Washington beschränkt. Dazu möchte Russland ins Zentrum der europäischen Entscheidungsfindung aufgenommen werden. Die bestehenden Institutionen würden nicht ausreichen, sagte Putin. „Heute werden Entscheidungen manchmal überhaupt ohne uns getroffen.“ Zu oft würde Russland gebeten, Entscheidungen nur noch nachträglich zu bestätigen. Da müsse man schon fragen, ob das „echte Partnerschaft“ sei.

Wiederholt porträtierte Putin sein Land als natürlichen Verbündeten im Kampf gegen Terrorismus. Putin erinnerte an die Bombenanschläge auf Wohnhäuser in Moskau, bei denen hunderte von Menschen gestorben seien. Deshalb baue Russland zusammen mit einigen GUS-Republiken schon lange an einer Sperre gegen Drogen, Gewalt und Extremismus, wie er den Tschetschenienkonflikt umschreibt.

Damit rührte der Gast an das heikelste Thema des Besuchs. Bundeskanzler Gerhard Schröder ließ bei seiner Pressekonferenz mit Putin bereits erkennen, dass der Westen von seiner prinzipiellen Kritik am Tschetschenienkrieg abrückt. Im Lichte der extremistischen Anschläge auf die USA müsse man diesen Konflikt „differenzierter“ sehen, sagte Schröder. Bundestagspräsident Thierse dagegen hatte Putin erst für den russischen Beitritt zur Menschenrechtskonvention gelobt, um dann zu mahnen: „In dieser Konsequenz liegt es, auch für Tschetschenien eine politische Lösung zu suchen.“