Die beste aller Welten gibt es nicht

Fluchtpunkt Filmfest Hamburg? Kim Ki-Duks Adress Unknown und Osamu Tezuka's Metropolis von Rintaro strafen eine Weisheit von Truffaut Lügen  ■ Von Gerd Bauder

Die beste aller Welten nannte Francois Truffaut das Kino einmal. Ob er sich damit nun sinnbildlich auf den Film bezog oder den realen Ort meinte – gerade im Moment scheint sein Ausspruch gültiger denn je. Welche „Welt“ sonst ist so gut, spendet so viel Hoffnung, Trost und Glück? Im Kino erfahren geschundene Seelen obgleich nur eine „poetische“, immerhin eine Art von Gerechtigkeit, Liebeskranke können ihren Kummer teilen und ganze Sitzreihen schütteln sich vor Lachen, während die schnöde, „richtige“ Welt draußen bleibt.

Schwierig wird es mit dieser Gleichung indes, sobald die Realität in die beste aller Welten einfällt und das Geschehen auf der Leinwand bestimmt. Im Rahmen des Filmfests Hamburg machen dies unter anderem die an dieser Stelle schon besprochenen iranischen Filme deutlich. Truffauts Idee scheinbar ad absurdum führen deren ProtagonistInnen, die es mit Gewalt, Restriktionen, sozialen Kämpfen und gesellschaftlichem Druck zu tun bekommen.

Themen, die ebenso aus fernöstlichen Filmen – dieses Jahr mit über zehn Filmen abermals ein kleiner Schwerpunkt des Festivalprogramms – bekannt sind. Der südkoreanische Address Unknown zum Beispiel erzählt von einer Gesellschaft, die sich, obwohl der eigentliche Konflikt lange vergangen ist, noch immer im Kriegszustand befindet. Sprachlosigkeit herrscht. Statt Verständnis und Offenheit prägt die Menschen das Recht des Stärkeren, dem sich zuletzt auch die Schwachen unterordnen. Ein Teufelskreis, dem die drei jugendlichen Charaktere nicht entkommen: der Afroasiate Chang-Guk leidet unter den Diskriminierungen der Außenwelt, verprügelt seinerseits aber immer wieder seine Mutter, an die ihn eine fatale Hassliebe bindet. Die zarten Bande wiederum, die sich zwischen der Kriegswaisen Eunok und dem schwächlichen Jihum entwickeln, werden von zwei Hooligans auf brutale Weise beendet.

In diesem Chaos agieren dabei die für das koreanisch/japanische Kino typischen, stilisiert wirkenden Figuren, die zwischen Beherrschtheit und krassen Gewaltausbrüchen oszillieren. Angesiedelt ist Address Unknown in einer Vorstadt zwischen Waldrand, US-Kaserne und kargen Feldern. Diesen Ort hat Regisseur Kim Ki-Duk in nüchternen, manchmal tableauhaften Bildern fotografiert, die mit der durchaus vorhandenen Ironie und Lakonik korrespondieren. Doch trotz einiger comic releases und einer offenen Sicht auf Sexualität bleibt der Film stets bitter und untermauert die Erkenntnis, die ein Amok laufender US-Soldat äußert: „The war is in your heart.“

Dann doch lieber in reine Fiktion fliehen? Dazu bietet sich der alleine schon visuell deutlich fiktive Anime Osamu Tezuka's Metropolis bestens an. Basierend auf der hinlänglich bekannten Geschichte um die düsteren Machenschaften der Herrscher einer supermodernen Gesellschaft, aber auch auf einem bekannten Manga namens Metropolis von Osamu Tezuka aus den 40ern, gelang den Machern des Films ein zugleich spaßiges und allegorisches Meisterwerk. Zeichnerisch-formal perfekt umgesetzt überzeugt der Film durch das wissende Spiel mit Referenzen von Langs Metropolis bis zu Matrix, das sich in Stummfilmtricks wie Irisblenden und spannend choreografierten Verfolgungsjagden äußert.

Die stringente Verschwörungsge-schichte bedient nicht nur Klischees à la mad scientist oder machtbesessener Plutokrat, sondern bricht einfache Dichotomien. Nachdenkliche Revolutionäre, die über die Gewaltfrage sinnieren, und Liebe, die zwischen Menschen und Maschinen aufkeimt, verleihen dem Film Vielschichtigkeit und Tiefe. Im sich aufdrängenden Vergleich zu A. I. antwortet der Anime, im Gegensatz zu Spielbergs unerträglicher, kitschiger Affirmation bürgerlicher Werte, auf Zukunftsängste mit Aufrichtigkeit und einem ironischen Dr. Stragelove-Zitat: Zum GAU erklingt die Schnulze „I Just Can't Stop Loving You“. Neben dem Witz möchte der Film damit aber auch an eine Universalie erinnern: Liebe endet nie. Mit dieser hoffnungsvollen Botschaft löst Osamu Tezuka's Metropolis dann gar Truffauts Versprechen ein.

Osamu Tezuka's Metropolis: Do, 21.30 Uhr + So, 19.30 Uhr, Cinemaxx;Address Unknown: Fr, 22.30 Uhr, 3001 + So, 19.30 Uhr, Zeise