Menschen neu formulieren

Transformierter Klassiker zur Spielzeit-Eröffnung: Sebastian Hartmann inszeniert Schillers Räuber am Schauspielhaus  ■ Von Annette Stiekele

Der junge Regisseur Sebastian Hartmann wurde 1999 aus der Off-Theaterszene von Frank Castorf für die Berliner Volksbühne entdeckt. Dort inszenierte er unter anderem Ibsens Gespenster und Strindbergs Traumspiel. Mit der Aufführung von Schillers Die Räuber eröffnet Hartmann die Spielzeit am Deutschen Schauspielhaus. Wir sprachen mit ihm über die Schwierigkeit revolutionärer Stücke in Krisenzeiten.

taz hamburg: Sie eröffnen die neue Spielzeit mit einem Klassiker. Das ist für Ihre Arbeit eher ungewöhnlich, aber auch für die bisherige Richtung des Schauspiel-hauses. Warum also Schillers „Räuber“?

Sebastian Hartmann: Wir haben gemeinsam einen klassischen Stoff gesucht, und da lagen mir die Räuber schon länger am Herzen. Gerade in einer Stadt wie Hamburg, die eine starke Spannung mit vielen sozialen Widersprüchen in sich trägt, ist es interessant, diesen Stoff zu hinterfragen. Im Moment hat er allerdings eine ganz andere Brisanz.

„Die Räuber“ lesen sich heute als sehr pathetisches Stück mit einem radikalen Freiheitsbegriff. Wie gehen Sie damit um?

Wir versuchen in unserer Konzeption, Karl Moor und Franz Moor als eine Figur zu transportieren. Beide werden von einem Schauspieler gespielt. Bei Schiller steht Karl für das Ideal, die Utopie. Auf der anderen Seite steht der Intrigenspinner. Ich versuche, einen humanen Blick auf den modernen Menschen zu richten, der mit der Vermischung der eigenen Opfer-Täter-Rolle nicht zurechtkommt.

Wie wollen Sie dem Zuschauer zwei Figuren in einer vermitteln?

Das ist nicht einfach, weil wir damit dem Stück das dramaturgische Grundgerüst entziehen. Alle Figuren, die mit Franz oder Karl zu tun haben, treffen bei uns auf Franzkarl, der entweder nur Franz oder nur Karl ist. Wir versuchen, den Figuren innerhalb der Szene ein übergeordnetes Bewusstsein zu geben. Es ist nicht so platt, dass der eine lispelt und der andere hinkt. Wir können ja auch nicht mehr mit Gewissheit sagen, wann wir gut, wann wir schlecht sind.

Wie äußert sich das Bewusstsein in der Doppelfigur?

Wir erzählen eine apokalyptische Geschichte. Wenn die Räuber in den böhmischen Wäldern eingekesselt sind und der Hauptmann seinen geschätzten Roller knapp den Fängen der Obrigkeit entrissen und dabei eine Stadt in Brand gelegt hat, haben wir es mit einem apokalyptischen Moment zu tun. Dieses Moment geht weiter, indem am Ende alle in mordio untergehen.

Es geht ja in den „Räubern“ um die Auflehnung gegen feudale Zustände. Wogegen rebelliert Karl in Ihrer Konzeption?

Da stellt sich die Frage, ob man gegen eine Gesellschaft, in der man lebt, revoltieren kann. Sind diese Begriffe nicht fehlgeschlagen? Ist nicht unsere Art, wie wir in der Gesellschaft leben, zu hinterfragen? Mir geht um eine ästhetische, eine sinnliche Neuformulierung des Menschen, und dann können wir über Gesellschaft nachdenken.

Erhält nicht die Legitimität von Widerstand in diesen Zeiten eine völlig neue Bedeutung?

Natürlich klingt der Terrorismus an. Es gibt viele berühmte Räuber-inszenierungen, wo es eindeutig um die RAF ging. Ich instrumentalisiere das nicht noch einmal. Ich zeige einen Menschen, der versucht, alle Ketten abzuschütteln. Er intrigiert sich aus seiner eigenen Familie heraus und wird Räuber. Das stellt sich bei uns aber gar nicht so her. Die Räuber merken schnell, dass das, was sie tun, sie auf ihr eigenes Blut zurückwirft, und scheitern. In einem weiteren Schritt werden sie einer gerechten Strafe durch die Obrigkeit zugeführt. Schiller lässt seine 79 Räuber gegen 1700 Reiter antreten und gewinnen. Bei mir verlieren sie und fliehen auf den Mars.

Haben Sie starke Veränderungen an dem Stück vorgenommen?

Ich habe keine Akte umgestellt, aber zwei bis drei Szenen gestrichen, aber nur, um nicht noch zwei Stunden dranzuhängen. Mit meiner Art zu inszenieren und zwischen den Texten auch noch ein paar Räume zu entdecken, würde ich sonst auf zwölf Stunden kommen, und so spannend sind „Die Räuber“ dann doch nicht.

Premiere heute, 20 Uhr, Schauspielhaus