Zwanghafte Sozialhilfe

Eine Frau will ein besseres Leben und wird von der Bürokratie zerrieben  ■ Von Sandra Wilsdorf

Geld verdienen, den Kindern mal etwas bieten können, sich aus der ewigen Abhängigkeit befreien: „Ich will noch was machen aus meinem Leben“, sagt Gudrun Baloch. Sie will arbeiten, doch die Behörden drohen mit Sozialhilfe-Entzug. „Ich habe bald keine Kraft mehr“, sagt die 45-Jährige. Sie ist Mutter von fünf Kindern, der ältes-te Sohn 26, die jüngste Tochter sechs Jahre alt. Keiner ihrer Väter zahlt Unterhalt, Gudrun Baloch lebt mit Unterbrechungen seit 20 Jahren von Sozialhilfe.

Aber sie will da raus. Sie machte an der Volkshochschule ihre mittlere Reife nach. Doch weil ihre Ausbildung zur Arzt- und Schwesternhelferin 25 Jahre zurück liegt, empfahl das Arbeitsamt 1999 darüber hinaus eine „zwingend notwendige Integrationsmaßnahme bei guten Berufsaussichten“ und genehmigte eine eineinhalb Jahre dauernde Weiterbildung zur Haus- und Familienpflegerin. Gudrun Baloch ergriff die Chance.

Doch dann erfuhr sie im März 2000, dass ihr mittlerer Sohn heroinabhängig ist. Die allein erziehende Mutter wurde depressiv, musste die Ausbildung abbrechen, war ein Jahr lang krank. In einer Rehaklinik hielt sie es nur sechs Wochen aus. Sie musste nach Hause, zu den zwei Kindern, die noch bei ihr wohnen: der hyperaktive Sohn und die kleine Tochter. Und zu dem Heroinabhängigen, der kommt und geht, wann er will.

Heute geht es Gudrun Baloch wieder besser, und sie will immer noch, was sie schon damals wollte: nicht mehr vom Sozialamt abhängen. Sie geht zum Arbeitsamt, beantragt eine Fortsetzung der Ausbildung. Fachgutachten über Körper und Seele befürworten, dass die Frau ihren eingeschlagenen Weg fortsetzt. Weil sie bei der anderen Schule das Gefühl hatte, nicht viel zu lernen, meldet sie sich an der staatlichen Berufsfachschule für Hauswirtschaft und Ernährung an. Sie bekommt einen Platz zum 30. August und freut sich. Doch wenige Wochen vor Beginn teilt das Arbeitsamt mit, dass eine „Förderung der Umschulung mangels Schulungsplätzen erst mit Beginntermin in 2002 denkbar“ sei. Gudrun Baloch entgegnet, dass sie doch längst einen Platz hat und sich sogar auch schon die vier erforderlichen Praktikumsstellen besorgt hat. Auf Nachfrage gibt der Sachbearbeiter zu, dass es nicht an Plätzen, sondern am Geld mangele.

Dabei kostet das Arbeitsamt die staatliche Schule nichts, Gudrun Baloch hat außerdem keine Ansprüche an das Arbeitsamt, und somit bleibt das Sozialamt für sie zuständig. Das beruft sich aber auf die Auskunft vom Arbeitsamt, Gudrun Baloch solle es halt im kommenden Jahr noch einmal versuchen. „Aber die nehmen mich doch nicht wieder, wenn ich das jetzt abbreche“, fürchtet sie. Außerdem will sie so schnell wie möglich aus der Sozialhilfe raus. „Ich fange da an“, beschließt Gudrun Baloch trotzig. Seit dem 30. August ist sie dabei, macht gerade ein Praktikum in einer Schulküche, „das macht mir großen Spaß“, sagt sie und schwärmt: „Mit der Ausbildung kann ich hinterher in Altenheimen oder bei Pflegediensten arbeiten.“

Doch das Sozialamt wittert eine Sparchance: Es sei „nicht einsehbar, warum Sie die Ausbildung jetzt mit Inanspruchnahme von Sozialhilfemitteln begonnen haben“, schreibt der Sachbearbeiter und kündigt an, die Sozialhilfe ab dem 1. Oktober zu streichen, wenn sie nicht die Schule abbrechen und sich arbeitssuchend melden würde. Gudrun Baloch schießen die Tränen in die Augen: „Meine kleinste Tochter ist gerade zur Schule gekommen, jetzt kann sie nicht mehr immer in Jogginganzügen herumlaufen. Sie wünscht sich ein Kleid.“

Für sich und für ihre Kinder will Gudrun Baloch die Ausbildung auf keinen Fall abbrechen. Sie will vom Sozialamt nicht mehr als weiterhin die 794 Mark, von denen sie und ihre zwei Kinder im Monat leben müssen. Sie will eine Chance.