Eine Bewegung ohne Einigkeit

Die Terroranschläge in Amerika haben die Berliner Fronten im Religionsunterricht-Streit aufgeweicht. Aber nach den Wahlen zum Abgeordnetenhaus ist eine Einigung im wahrscheinlichen rot-roten Senat kaum zu erwarten: SPD und PDS trennt zu viel

von PHILIPP GESSLER

Die offenbar aus religiösem Fanatismus verübten Anschläge in den USA haben auch bei der Debatte „Religionsunterricht“ in der Hauptstadt die Fronten aufgeweicht – aber eine Einigung in der Streitfrage ist dennoch in nächster Zeit eher unwahrscheinlich: Zwar gibt es in der SPD-Fraktion nach Auskunft ihrer bildungspolitischen Sprecherin Eveline Neumann bei Einzelgesprächen eine „starke Tendenz“ für eine Lösung des Problems nach den Abgeordnetenhauswahlen am 21. Oktober. Wenn es aber dann, wie Umfragen prognostizieren, zu einer rot-roten Mehrheit und SPD/PDS-Senat kommt, rückt eine Einigung des Streits in weite Ferne.

Im Gegensatz zu fast allen anderen Bundesländern gibt es seit Gründung des Landes Berlin keinen wertorientierten Unterricht – sei es Religion und/oder Ethik: Die Schüler haben schlicht frei. Allerdings bieten Vertreter der Religionen und Konfessionen in den Schulgebäuden einen rein freiwilligen Unterricht an.

Schulsenator Klaus Böger (SPD) will nun ein Wahlpflichtfach einführen: Die Jugendlichen müssen demnach einen wertorientierten Unterricht belegen. Es kann aber sowohl Religion wie Ethik sein. Dabei sollen die einzelnen, religiös getrennten Klassen, unterrichtet von Lehrern der Religionsgruppen, nach einem „Begegnungsmodell“ nur zu bestimmten Themen zusammenkommen. Das ist im Wesentlichen auch die Position der CDU und der Kirchen. Bögers Fraktion aber folgt ihm da kaum. Wie die SPD-Landespartei könne die Mehrheit ihrer Fraktion einen verpflichtenden Unterricht noch akzeptieren, so Neumann – dies aber eher ähnlich dem brandenburgischen Fach LER (Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde), gegen das derzeit die Kirchen in Karlsruhe klagen.

Die Bündnisgrünen lehnen ein Wahlpflichtfach klar ab, sind jedoch für ein LER-ähnliches Fach zu gewinnen, das nach dem so genannten Fenstermodell abliefe, sagt ihr Bildungsexperte Özcan Mutlu: Es gäbe ein Grundfach LER, und nur zu bestimmten Themen könnten die Religionsgruppen ihre Vertreter in den Unterricht schicken. Das wäre das Begegnungsmodell auf den Kopf gestellt.

Am striktesten ist die PDS gegen ein wertorientiertes Unterrichtsfach: Fraktionschefin Carola Freundl will lediglich einen ausgeweiteten Sozialkundeunterricht, in dem dann religiöse Fragen behandelt werden könnten. Darüber aber herrsche in der Fraktion nicht „100 Prozent Einigkeit“. Klar sei nur, dass die Frage des Religionsunterrichts bei einer rot-roten Regierungsbildung ein Dissenspunkt wäre.