Armut, Krieg, Islam

Kirgisien, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan sind zerrüttet und sollen zu den USA stehen

von NICK REIMER

Eine fast vergessene Region rückt derzeit ins Zentrum des öffentlichen Interesses: Zentralasien. Die Turkstaaten Kirgisien, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan spielen in den militärischen Vorbereitungen der USA für einen Militärschlag gegen Afghanistan eine wesentliche Rolle.

Ein nicht ungefährlicher Plan. Der Islam, der die Region seit dem 8. Jahrhundert einte, verhalf Zentralasien bis Mitte des 19. Jahrhundert zu wirtschaftlicher und kultureller Blüte. Heute, wo das Bruttosozialprodukt in Turkmenistan und Usbekistan mit 790 Dollar pro Kopf genauso niedrig ist wie in Afganistan – in Kirgisien und Tadschikistan beträgt es gar nur 300 Dollar –, erlebt der Islam eine Renaissance. Zum Vergleich: In den USA liegt das Bruttosozialprodukt bei 29.240 Dollar pro Kopf.

In Kirgisiens Bergen kämpfen muslimische Rebellen unter dem usbekischen Feldherren Dschuma Namangani gegen Regierungstruppen, die wiederum von Usbekistans Präsident Islam Karimow unterstützt werden. Besonders umkämpft ist dabei seit Ende der 80er-Jahre das Fergana-Becken, eine dicht besiedelte, fruchtbare Ebene zwischen den hohen Bergketten des Tientschan. Im vergangenen Jahr hatten Namanganis Rebellen einen Teil der Ebene eingenommen und etliche Geiseln genommen.

In Tadschikistan tobte zwischen 1991 und 1997 ein – von afghanischen Taliban unterstützter – Bürgerkrieg, der zehntausende Tote forderte. Zwar unterzeichnete der tadschikische Rebellenführer Said Abdollah Nuri im Sommer 1997 ein Friedensabkommen, dessen Überwachung 20.000 russische Soldaten gewährleisten sollen. Die Lage ist aber weiterhin instabil.

Und auch in Usbekistan ist eine „Islamische usbekische Bewegung“ aktiv, die von US-Präsident George W. Bush in seiner Rede vor dem Kongress namentlich als Verbündete der von Bin Laden geführten al-Qaida genannt wurde. Immer wieder sorgt die Islamische usbekische Bewegung mit Bombenanschlägen vor allem in der Hauptstadt Taschkent für Terror.

Madeleine Albright, US-Außenministerin unter Präsident Clinton, sagte im vergangenen Jahr bei ihrer Reise durch Kirgisien und Usbekistan Ausbildungshilfe und finanzielle Unterstützung der Regierungsarmeen zu. Doch damit lässt sich der Konflikt nicht beheben. Die ehedem planwirtschaftlich von Moskau gelenkten Wirtschaften haben sich vom Zusammenbruch der Sowjetunion nie erholt. 80 Prozent der sechs Millionen Tadschiken leben heute in Armut, die Arbeitslosenquote schwankt zwischen 30 und 40 Prozent. Die Inflationsrate in Turkmenistan lag zwischen 1990 und 1998 bei über 660 Prozent, die Auslandsverschuldung Usbekistans stieg im gleichen Zeitraum auf über 3,1 Milliarden Dollar an.

Obwohl Landwirtschaft außerhalb Kirgisiens nur durch intensive Bewässerung möglich ist, entwickelte sich Zentralasien während der Sowjetzeit zum größten Baumwollproduzenten der Welt. Auch Seidenfarmen waren verbreitet. Moskau ließ einen 1.400 Kilometer langen Bewässerungskanal durch die turkmenische Wüste Karakum bauen, auch die usbekischen Wüsten wurden bewässert. Mit verheerenden Folgen: Weil dem Amu Daria im Süden und dem Syr Daria im Norden das Wasser abgegraben wurde, trocknete der Aralsee aus. Über 40 Prozent seiner Fläche sind inzwischen verloren, die ehemals reiche Fischwirtschaft ist zusammengebrochen – im heute extrem salzigen Wasser leben nur noch 5 von einst über 30 Fischarten. Immer wieder hatten die Staaten Zentralasiens in den vergangenen Jahren mit schweren Dürren zu kämpfen.

Doch nicht nur die Baumwollerträge sind stark zurückgegangen, auch der Weltmarktpreis ist deutlich gefallen. Die Folge sind Hungersnöte, vor allem Tadschikistan und Turkmenistan. „Die internationale Staatengemeinschaft muss Afganistan und seinen Flüchtlingen helfen“, fordert Ardag Meghdessian, Leiter des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen. Und er warnt zugleich: „In Tadschikistan gibt es eine Million Menschen, die genauso dringend Lebensmittel brauchen.“

Vor diesem Hintergrund fürchten die Staatschefs der vier Länder den muslimischen Flüchtlingsstrom aus Afganistan. „Kein Flüchtling darf zu uns gelangen“, hatte der tadschikische Präsident Emomali Rachmonow erst in der letzten Woche gefordert. Seine Begründung: Die Gefahr religiös motivierter Unruhen sei zu groß. Unerwähnt ließ er, dass die Gefahr von durch Armut motivierten Unruhen noch größer ist.