Eins zu Null für den befreiten Fußball

■ Ausgewählte Standardsituationen: „Agitprop-Schwätzer“ Gerd Dembowski liest heute im Jolly Roger

Eigentlich wollte er mal Fußballprofi werden. Einen Vorvertrag bei Wattenscheid 09 hatte er, und den richtigen Drive in den Zehen auch. Das „Mittelfeld-Gewissen“ beim SV Sodigen würde heute vielleicht mit Yves Eigenrauch (Schalke 04) oder Christian Brand (Hansa Ros-tock) hauptberuflich Fußball spielen und nachmittags den Ballsport-Literatenstammtisch besuchen. Und langweilige Allgemeinplätze absondern.

Es ist anders gekommen. Dembowski, heuer „der allerschlimmste Albtraum Leo Kirchs“ (SWR), bezeichnete den Genannten als „Medien-Hooligan“. Und: „Wo ein Mann wie Dembowski das Wort führt, können auch Politiker nicht schweigen. Sogar der Kanzler habe sich zu Wort gemeldet, berichtet der Spiegel. Gerd Dembowski hat „irgendwie“ mit Fußball zu tun. Das Kanzler-Wort zum Kirch-Albtraum verdankt sich seiner Kritik am Fußball-Vermarktungsgebaren des Schattenkanzlers mit eigenem Medienimperium. Für das Bündnis Aktiver Fußballfans (BAFF) rief Dembowski zum Decoder-Boykott auf. „Wir gehen sowieso lieber ins Stadion“, sagt der Wahl-Berliner und schiebt sich sein Baseballcap zurecht. Hauptberuflich schaut er Spiele des FC St. Pauli an, da leidet die Mütze schon mal. „Dieser Verein ist ein Geschenk an die Welt“, philosophiert Dembowski, der sich ansonsten auch „realitätsfremder Postkommunist oder Agitprop-Schwätzer“ nennt.

Schwätzen ist seine Spezialität. Und Schreiben. Über Popmusik und Deleuze, Foucault und Fernsehen. Die neuen Heiligen – Reportagen aus dem Medienhimmel ist der Titel einer zweiteiligen Anthologie, die er zuletzt mit herausgegeben hat. Und wieder rollt der Fußball.

Dembowski hat ja „irgendwie“ auch damit zu tun. Zielsicher platziert er hart geschlagene Pässe mit dem linken Außenrist in die ZuhörerInnen. Kaiser Franz, Günter Netzer, Lothar Matthäus und andere Fußballsimulationen werden sprachlich pointiert von Dembowski umspielt und ein Schuss zielsicher in des Gegners Netz gedroschen, eins zu null für den befreiten Fußball. Was neunzig Prozent des Fußballpublikums als Verdammung ihres Heiligsten verstehen würden.

Die Fachpostille junge welt verleiht dafür stattdessen „den kleinen Nobelpreis des kritischen Humors“. Nobelpreis, Medien-Hooligan, Matthäus? Gerd Dembowski hat doch eigentlich nur „irgendwie“ mit Fußball zu tun.

Markus Flohr

heute, 20 Uhr, Jolly Roger (Detlev-Bremer-Str. 42); Marvin Chlada/Gerd Dembowski (Hg.): Die neuen Heiligen – Reportagen aus dem Medien-Himmel, 2 Bde., Alibri Verlag, je 170 S., 25 Mark