Gerechter Terror?

■ Premiere: Albert Camus' „Gerechte“

Camus' Stück geht davon aus, dass es gerechtfertigte Attentate, „gerechten Terror“ gibt. Deswegen wurde es 1977, im „deutschen Herbst“, unter anderem vom Spielplan des Oldenburger Theaters gestrichen. Die taz befragte Marlon Metzen, Regisseur der heutigen „Gerechten“-Inszenierung, und Chefdramaturg Joachim Klement zum aktuellen Bezug der Inszenierung, zur Grenze zwischen militantem Widerstand und Terror.

taz: Die Anschläge in den USA passierten zweieinhalb Wochen vor Ihrer Premiere. Wie hat das die Inszenierung verändert?

Klement: Wir haben natürlich diskutiert, ob das Stück noch möglich ist. Man muss im Theater ja auch die größten Bösewichter mit Sympathie zum Leben erwecken. Und da war tatsächlich Frage, ob man das jetzt noch machen kann.

Metzen: Nach einer Unterbrechung von drei Tagen haben wir dann beschlossen, das Stück zu machen, aber anders.

Wie anders?

Metzen: In den verbliebenen zwei Wochen haben wir ein neues Konzept entwickelt. Ursprünglich hatten wir das Stück in Bezug auf die Joschka-Fischer- und die 68er-Debatte inszeniert – als Collage mit Ton- und Videoeinspielungen auch aus der RAF-Geschichte. Dazu kam im Frühsommer noch der Gipfel in Genua, also die Frage nach einer neuen politischen Opposition, die eventuell auch mit Gewalt etwas zu provozieren versucht. Das ist nun alles rausgeflogen zugunsten eines ganz puristischen Konzepts.

Das heißt?

Metzen: Wir arbeiten jetzt fragmentarischer, fast wie auf einer Probebühne. Über die reale Situation kann man keine Illusion mehr stülpen.

Klement: Natürlich muss man mit dem Terror-Aspekt jetzt anders umgehen. Im Stück geht es ja um die Frage: Gibt es einen gerechten Mord, um Verhältnisse zu verändern? Vielleicht ist es im Augenblick wichtiger, die Menschen damit radikal zu konfrontieren, anstatt ihnen eine Interpretationsfolie zu liefern.

Terroristen als Menschen mit Biografien und moralisch wägbaren Motiven darzustellen, könnte zur Zeit schwierig sein. Fürchten Sie Sympathisierungs-Vorwürfe?

Klement: Das wäre Quatsch. Wenn man das Stück spielt, ist man nicht gleich verdächtig, zur Gründung einer terroristischen Vereinigung aufzurufen. Camus kommt aus der Résistance, weiß also sehr genau, was es bedeutet, Widerstand zu leisten. Er hat Respekt vor Menschen, die sich – wie seine Figuren – nach der Legitimität ihrer Handlungen fragen. Das stellen wir zur Diskussion. Wir werden nach jeder Aufführung Zuschauergespräche führen.

Metzen: Es könnte schon sein, dass wir heftige Publikumsreaktionen bekommen. Denn für viele ist natürlich schon die Grundannahme provozierend, einen Terroristen überhaupt als „gerecht“ zeigen zu können – ganz unabhängig von der Diskussion über die Verhältnismäßigkeit von unbeteiligten Opfern.

Heiligt bei Camus der Zweck die Mittel?

Klement: So einfach ist das nicht. Bei ihm rechtfertigt erst der Einsatz des eigenen Lebens den eingesetzten Terror.

Das haben die New -York-Attentäter allerdings auch eingesetzt...

Klement: Aber die Situation ist insofern anders, als es bei Camus um die direkte Konfrontation zwischen Attentätern und einem Herrscher geht. Und nicht um einen anonymen Anschlag auf 5.000 Menschen. Natürlich finde ich jedwede Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele äußerst fragwürdig. Nichtsdestotrotz muss man ja beispielsweise auch an die Hitler-Attentäter denken.

taz: Sind ihre „Gerechten“ also gerecht?

Metzen: Ja.

Aber es gibt auch die „Gerechteren“?

Es gibt einen Gerechten und die „Gerechteren“, das stimmt. Stepan ist bereit, unschuldige Opfer in Kauf zu nehmen. Durch den Terroranschlag hat er natürlich noch mal eine andere Dimension gewonnen – man kann sich jetzt plastischer vorstellen, was es bedeutet, wenn man so radikal wie er denkt. Die anderen, die „Gerechteren“, vertreten eine Ethik, derzufolge keine Unschuldigen – im Stück die Kinder des Großfürsten – umkommen dürfen.

Kann man denn so jemanden wie Stepan zur Zeit als positiv besetzte Figur auf die Bühne stellen?

Metzen: Es ist vielleicht ein bisschen schwieriger geworden. Aber ich sehe ihn immer noch positiv, weil er seine Position ja philosophisch begründet.

Klement: Es gibt nicht das absolute Böse, es gibt immer Menschen und Hintergründe. Ich glaube, man macht es sich zu leicht, wenn man jetzt von Wahnsinningen und Gehirnwäsche in afghanischen Lagern spricht. Je stärker jetzt eine quasi mittelalterliche Kreuzugs-Rhetorik aufkommt, desto deutlicher ist unsere Aufgabe, die Menschen nicht als abstruse Mordmaschinen darzustellen. Deshalb finde ich gut, dass das Stück auf Differenzierung besteht.

Sprengt die sogenannte „neue Dimension“ des Terrors nicht den Rahmen des Camus-Stückes?

Metzen: Vielleicht funktioniert es nur noch über die Figur des Stepan. Die Gruppe entscheidet sich ja gegen ihn. Eine Szene ist besonders spannend: Da sagt Dora zu Stepan: „Wenn die Organisation beschließt, dass Kinder von unseren Bomben zerfetzt werden, dann wendet sich das Volk gegen uns.“ Wenn man jetzt an einen Gegenschlag der Amerikaner denkt, bin ich gespannt, ob das „Volk“ letztendlich nicht eher dafür ist Zivilisten zu töten, oder sich eben auch dagegen auflehnt.

Fragen: Henning Bleyl

Die Premiere ist heute abend um 20 Uhr. Karten: Tel.: (0421) 36 53 333