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■ Jello Biafra hat gesprochen

Er war noch nicht dazu gekommen, seine Gedanken in aller Form zu ordnen. Einen Haufen Notizzettel und Zeitungssausschnitte hatte Jello Biafra unsortiert im Gepäck. Er weiß, es wird von ihm erwartet, sich zu den Anschlägen auf die USA zu äußern. Gerade von ihm, dem Mann, der seit den frühen Achtzigern neben dem verblichenen Frank Zappa zu den wortgewandtesten Kritikern der USA aus Pop-Kreisen gehört.Anstatt sich über den Angriff auf die USA zu empören, steht für Biafra nach dem ersten Schock viel mehr die Erkenntnis an, dass nun für Menschen in Amerika greifbar wurde, was an anderen Orten auf dieser Welt seit Jahren an der Tagesordnung ist, wie in Israel, Irland, Tschetschenien und auch Afghanistan. Krieg und Terror will er da gar nicht weiter auseinanderhalten. Nichts anderes als solcher gehe schließlich auch von den USA aus, wenn sie seit zehn Jahren regelmäßig den Irak bombardierten, so Biafra. „Amerika hatte bislang einfach Glück“ – mehr nicht. Biafra beunruhigen nun vor allem die möglichen Konsequenzen. Die Präsentation von Rechtfertigungen für militärische Interventionen bei bisweilen dürftiger Beweislage, vorgeführt am Beispiel des Golfkriegs, der nach Biafra vor allem geführt wurde, um neue Waffensysteme vorzuführen, um selbige wiederum in alle Welt zu verkaufen, was dann allerdings schon ein wenig nach Verschwörungstheorie riecht. Auf diese oder ähnliche Weise züchte sich Amerika seine Feinde selbst heran, wie am Beispiel der Taliban zu sehen, die von den USA ausgebildet und unterstützt wurden. Allerdings haben die USA den Job nicht zu Ende geführt, wie Biafra meint. Anstatt den Menschen in Afghanistan nach dem Rückzug der SU zu helfen, hinterließen sie ihnen nicht nur ein zerbombtes Land sondern eben auch die Taliban, die sich durchsetzen konnten, weil sie der entkräfteten Bevölkerung ein Ende des Bürgerkriegs versprachen.Unterstellt er aber hier der Politik der USA nicht einen Zweck, den sie gar nicht hatte? Schließlich erging sich Biafra auch in einer zwar unterhaltsamen, gleichwohl zweifelhaften Kritik am Präsidenten der USA, den er als ungebildeten Trottel darstellt. Biafra weiß, dass Clinton im Grunde nicht anders gehandelt hätte. Er weiß, dass ein Präsident der USA nicht allein regiert. Dennoch befasst er sich ganz inhaltslos mit rhetorischen Fehlleistungen Bush jrs., ganz in der Art der unpolitischen deutschen Birne-Kohl-Witze. Da wird das politische Personal an den kleinen „Niederlagen“ blamiert, derweil dessen Erfolge eigentlich eher das sind, woran auch Biafra etwas auszusetzen hat. Lieber nimmt er jedoch herrschende Zustände für Missstände und hat folglich eine Menge konstruktiver Anmerkungen parat. Ein Bodenkrieg in Afghanistan könne gar nicht gewonnen werden. Der Umkehrschluss wäre: Wenn er das könnte, ginge er wohl in Ordnung? Biafra als Verfechter der Demokratie und der individuellen Rechte – keineswegs also radikaler Gegner des Staates – hält Anti-Kriegs-Demonstrationen derzeit für ein geeignetes Mittel, das Schlimmste zu verhindern. Die Möglichkeit, unabhängige Nachrichten im Internet zu verbreiten, gehört da zu den wichtigsten Mitteln, worauf das Motto seiner Tour gemünzt ist: „Don't hate the media; become the media!“ Biafras Sarkasmus und seine bisweilen mitreißende Rhetorik fesselte die knapp zweihundert Menschen in der Kesselhalle immerhin fast vier Stunden lang. Echte Neuigkeiten gab es dabei allerdings kaum. Andreas Schnell