Denken, Computer und Zukunft

Werden intelligente Roboterwesen die Vorherrschaft über den Menschen gewinnen? Für einige Zukunfts- und Computerforscher ist das nicht nur Sciencefiction. Sie träumen von Maschinen mit mit einem Bewusstsein und eigenem Willen

„Der Mensch verliert seine zentrale Stellung als das intelligenteste Wesen auf Erden“

von CLAUDIA BORCHARD-TUCH

David ist scheinbar ein ganz normaler kleiner Junge. Doch er stellt ungewöhnliche Fragen – er möchte wissen, ob er „wirklich“ ist. Dies gibt dem Leser von Brian Aldiss Kurzgeschichte „Supertoys last all summer long“, auf der Steven Spielbergs Film AI beruht, zu denken. Nur langsam wird offenbar, dass David kein richtiger Mensch ist, sondern ein hochwertiger Roboter, darauf programmiert, seinen „Eltern“ als realistisches Kind zu dienen. Doch David hat nicht nur das äußere Erscheinungsbild und Verhalten eines richtigen Kindes, er verfügt auch über ein so hoch entwickeltes Bewusstsein, dass er imstande ist, Fragen nach der Art und dem Sinn seines Existenzustands zu stellen.

Was unterscheidet echtes und simuliertes Bewusstsein? Wann wird ein Computer intelligenter sein als der Mensch? Kann ein Computer einen eigenen Willen haben? Immer intensiver scheint das Bedürfnis der Wissenschaft zu werden, endlich Antworten auf diese seit langem gestellten Fragen zu finden. Und inzwischen träumen einige Forscher sogar von Computern, die die Größe des menschlichen Geistes erreichen, ja sie vielleicht übertreffen können. So prognostiziert Hans Moravec, Computerwissenschaftler an der Carnegie Mellon Universität in Pittsburgh, vier zukünftige Generationen von Universalrobotern. Die erste verfüge über einen eidechsenartigen Raumsinn, die zweite gewinne mäuseartige Anpassungsfähigkeiten hinzu, die dritte das Vorstellungsvermögen von Affen, die vierte die Denkfähigkeit von Menschen. Roboter der vierten Generation würden dem Menschen in ihrer Denkleistung überlegen sein. Nach Moravecs Ansicht führt diese Entwicklung schließlich zu den Exes – roboterähnlichen Wesen, die Nachfolger des Menschen sind.

In ähnlicher Weise wird im Kurzweil’schen „Homo s@piens“ eine Zukunft ausgemalt, in der es zu hybriden Wesen aus Mensch und Computer gekommen ist. Ray Kurzweil, Computerwissenschaftler am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge, ist überzeugt davon, dass in den nächsten Jahrzehnten Maschinen mit jeder beliebigen menschlichen Fähigkeit gleichziehen und sie schließlich übertreffen werden. Er schreibt: „Maschinen werden uns davon überzeugen, dass sie über ein Bewusstsein und einen eigenen Willen verfügen, die unseren Respekt verdienen. Wir werden zur Überzeugung gelangen, dass sie im gleichen Maße bewusst denken, wie wir dies von Menschen glauben. Und wir werden es ihnen glauben.“

Kurzweil prognostiziert, dass die Roboter schon in der übernächsten Generation in der Mehrzahl sein werden. „Spätestens 2019 wird ein Tausend-Dollar-Computer die Rechenleistung eines menschlichen Gehirns erreichen – etwa 20 Millionen Milliarden Rechenvorgänge pro Sekunde. 2029 kommt die Software für Intelligenz hinzu, die Fähigkeit, das eigene Wissen zu organisieren. Ein PC wird dann so viel leisten wie tausend Gehirne.“

Im Jahre 2029 werde auch fast jeder Rechner den so genannten Turing-Test meistern. Bereits im Jahr 1950 fand der britische Mathematiker Alan Turing eine ebenso einfache wie geniale Methode, mit der man entscheiden kann, ob ein Computer selbstständig denken kann. Im Turing-Test muss ein menschlicher Richter, der über ein Terminal mit mehreren Personen und einem Computer kommuniziert, herausfinden, welcher Gesprächspartner der Computer ist. Wenn es dem Rechner gelingt, den Juror davon zu überzeugen, dass er ein Mensch sei, dann muss man die Maschine als intelligent bezeichnen.

Kurzweils Thesen erregten beiderseits des Atlantiks einiges Aufsehen, wobei viele Stellungnahmen ihm im Prinzip zustimmten. Im Vorwort zur Lem’schen „Todesfalle“ schrieb der Literaturwissenschaftler und Übersetzer Jerzy Jarzebski zum Beispiel, „dass es wahr ist, dass die Maschinen der Situation immer näher kommen, wo es dem Menschen nur mit größter Mühe gelingt, den berühmt-berüchtigten Turing-Test zu knacken“. Microsoft-Chef Bill Gates erklärte: „Ray Kurzweil legt eine faszinierende Analyse der menschlichen und künstlichen Intelligenz vor.“ Und der Physiker und Erfolgsautor Stephen Hawking ist der Ansicht: „Wenn die biologischen Systeme ihre Vorherrschaft über die elektronischen Systeme bewahren sollen, muss der Mensch auch seine eigene Komplexität steigern.“ Zu diesem Zwecke müsse, so führte Hawking erst kürzlich weiter aus, „die Genmanipulation am Menschen vorangetrieben werden“.

Aber muss man die Schriften von Moravec und Kurzweil wirklich so ernst nehmen? Haben sie nicht eher etwas von Sciencefictionthrillern an sich: spannend, informativ und unterhaltsam – eine Mischung aus Hollywoodkultur und ein bisschen Computertechnik? Vielleicht sollte man dem Publizisten und Medienphilosophen Rudolf Maresch zustimmen: „Der Computerforscher entwickelt sich zum Visionär und Heilsversprecher, dessen Zukunftsentwürfe und Heilversprechen die Sehnsüchte der Massen befriedigen.“

Vieles bei Kurzweil ist zumindest zweifelhaft. So traut es sich Kurzweil zu, fast hundert Jahre vorauszusehen und das Ende der Menschheit exakt vorherzusagen: „Im Jahr 2099 verschmelzen menschliche und maschinelle Intelligenz. Der Mensch verliert seine zentrale Stellung als das intelligenteste und das leistungsfähigste Wesen auf Erden.“ Ein wissenschaftlicher Nachweis dieser Aussage fällt schwer, weil bekannt ist, dass alle Prognosen, die über drei Jahre hinausgehen, unwissenschaftlich sind.

Nach einem 1965 formulierten und bis heute gültigen Gesetz der Computerindustrie verdoppelt sich die Leistungsfähigkeit der Siliziumchips etwa alle 18 Monate. Dass diese Regel allein aufgund der physikalischen Gesetze nicht unbegrenzt gültig sein kann, wird von Kurzweil ignoriert. Die Folgen sind paradiesisch: Die Technologien ersetzen, entlasten oder erweitern den physischen Wirkungskreis des Menschen, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis es gelingt, mit Hilfe schneller Chips, Gehirnscanning, neuronalen Netzen, künstlichem Leben, virtuellen Realitäten und Gehirnimplantaten das Bewusstsein auf neuen Datenträgern zu speichern.

Dabei ist die Hirnforschung noch weit davon entfernt zu klären, was Bewusstsein überhaupt ist. Ob ihr das jemals gelingen wird, ist unbekannt. Der Bremer Neurobiologe Gerhard Roth ist sich sicher, dass die Rechenmaschinen in absehbarer Zeit kein Bewusstsein erlangen werden. „Es gibt kein Bewusstsein ohne Gefühl. In aller Regel steuert das limbische System unsere Emotionen. Es arbeitet bereits im Mutterleib, bewertet alles, was wir tun, nach Gut oder Schlecht und speichert das Ergebnis dieser Bewertung unbewusst ab, bis sich im Alter von vier Jahren das bewusste Ich entwickelt. Auf diesen Bewertungen bauen alle kognitiven Leistungen auf.“

Auch brauchen wird die Intelligenz der neuen Rechenmaschinen nicht zu fürchten. Roth: „Wenn man unter Intelligenz Problemlösen unter Zeitdruck versteht, sind Computer häufig jetzt schon intelligenter als Menschen: Sie verarbeiten Daten schneller und haben eine höhere Speicherkapazität.“ Doch das Gehirn sei gar nicht dafür eingerichtet, in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Daten zu transportieren und zu verrechnen. Roth sieht die Stärke des menschlichen Geistes in dessen „kreativer Intelligenz“. Sie macht es möglich, in komplizierten Situationen intuitiv abzuschätzen, was jetzt zu tun ist. Das Gehirn kann Erfahrungen und Wissen aus unterschiedlichen Gedächtniszentren in Sekundenschnelle zusammensetzen und in einen größeren Bedeutungszusammenhang stellen: „Wir haben 100 Milliarden Neuronen im Gehirn mit jeweils 1.000 bis 10.000 Synapsen – jedes ein informationsverarbeitendes System. Millionen von Jahren wurde das Gehirn des Menschen und seiner Vorfahren auf diese Funktionsweise hin selektiert. Vielleicht lassen sich künstliche Systeme entwickeln, die 90 Prozent unserer kreativen Intelligenz abdecken. Doch die letzten zehn Prozent? Ich glaube nicht, dass man die Komplexität, auf der unsere kreative Intelligenz fußt, künstlich wird erzeugen können.“

Eine weitere wichtige Eigenschaft unterscheidet uns von den Computern: Dem Computer fehlt der eigene Wille. Roth: „Der Wille ist ein dominanter Gefühlszustand. Und Gefühle werden Roboter vorerst nicht haben. Wenn man einen Roboter mit eigenem Willen schaffen wollte, müsste man ihm ein limbisches System mit der Fähigkeit zur Selbstbewertung einbauen.“

Als das komplexeste aller uns bekannten Datenverarbeitungssysteme ist das Gehirn wahrscheinlich ein zu ehrgeiziges Ziel für die nahe Zukunft. Bevor wir im Großen mit der Natur konkurrieren können, sollten wir zunächst im Kleinen die Fragen der Speicherdichte, Prozessgeschwindigkeit und Assoziationsleistungen klären, zu deren Bewältigung wir neue Technologien im Nanometermaßstab benötigen. In gewissem Sinne muss die Forschung erst einmal die Evolution der ersten Zelle nachvollziehen, ehe sie den Sprung zum Gehirn schaffen kann. Selbst diese Fortschritte im Kleinen werden aber bereits erhebliche gesellschaftliche Auswirkungen haben, da sie uns ermöglichen werden, Datenverarbeitung unsichtbar klein und zu vernachlässigbaren Kosten praktisch überall zu integrieren, von Haushaltsgeräten über Kleidung bis zu unserem eigenen Körper.