Wargasm

Was Krieg, Religion und Männlichkeit miteinander zu tun haben: Die Attentäter von New York und Washington opferten sich, um Teil einer phallokratischen Kriegerkaste mit Aussicht auf Unsterblichkeit zu werden. Mit der Megamännlichkeitsmaschine ins Paradies

von UTE SCHEUB

Nein, ich bin keine Islamwissenschaftlerin, ich bin auch keine Psychoanalytikerin, und ich weiß nicht, welche Ereignisse vom Schreiben dieses Textes bis zu seinem Erscheinen die Welt womöglich noch erschüttern werden. Von daher bewege ich mich bei meinen Ausführungen auf unsicherem Terrain, auf der Ebene der Spekulation, aber manchmal kann ja auch diese fruchtbar sein.

Wir wissen nicht und werden nie wissen, was in den Köpfen und Körpern der Attentäter vor sich ging, als sie die entführten Flugzeuge auf ihre Ziele in New York und Washington lenkten. Wir wissen nur, es ging ihnen um die Zerstörung der Symbole der Supermacht USA. Die Einschläge in die hoch aufragenden und dann zusammenbrechenden Zwillingstürme wirkten wie die Entmannung eines Riesen und waren wahrscheinlich auch so gemeint. Warum sonst brachten sie eines der höchsten Gebäude der Welt und nicht die Börse an der Wall Street zum Einsturz? Warum sonst explodierte schon 1993 ein Lastwagen voll Sprengstoff im Keller der Doppelhochhäuser?

Wahrscheinlich wussten die Terroristen, dass sie nicht nur Tatsachen produzierten, sondern auch Bilder und Symbole von ungeheurer Einschlagskraft, die ihre Anhänger begeistern sollten und begeisterten. Nach einer archaischen Kriegssymbolik gibt es keinen größeren Potenzbeweis als die Entmannung einer Weltmacht. Und für ihre eigene Person haben die Attentäter einen Männlichkeitsbeweis geliefert, der bis in alle Ewigkeit reicht: Auf Erden werden ihre Namen in die Geschichtsbücher eingehen, und im Paradies, das sie als Märtyrer verdient zu haben glaubten, hoffen sie auf Huris, helläugige Jungfrauen, deren Jungfräulichkeit sich nach jedem Liebesakt auf wundersame Weise wieder erneuert. „Die Gottesfürchtigen dagegen haben großes Glück zu erwarten“, heißt es in einer Sure des Koran, „Garten und Weinstöcke, gleichaltrige Huris mit schwellenden Brüsten und einem Becher mit Wein, bis an den Rand gefüllt.“ (Übrigens gilt Gleiches nicht für Frauen, sie sehen im Himmel langweiligerweise nur ihren Gatten wieder.)

Krieg, Religion und der Kampf der Männer um Männlichkeit stehen in einem engen symbolischen Zusammenhang, den wir derzeit vor allem in den US-Medien beobachten können. Sehr schnell nach dem Anschlag wurde das Bild eines nationalen Kollektivkörpers entworfen, der jetzt verwundet – kastriert? – daliegt, sich aber schon sehr bald in aller Herrlichkeit wieder aufrichten wird. „Amerika ist stark, Amerika wird wieder auferstehen und stärker sein als je zuvor“, lautete der Tenor in den Reden des Präsidenten und in den Kommentaren der MeinungsmacherInnen. Auch das World Trade Center wolle man so schnell wie möglich wieder aufbauen.

Als Symbol dafür, dass sie tatsächlich als Teil des Kollektivkörpers fühlten, zeigten die AmerikanerInnen buchstäblich Flagge: um den Leib geschlungen, auf den Schreibtisch gestellt, aus dem Fenster gehängt. Ein fiktiver Kollektivkörper begann sich gegen einen anderen zu stellen, das „Wir“ gegen das „Ihr“, das „Gute“ gegen das „Böse“. Man werde einen „monumentalen Kampf des Guten gegen das Böse“ führen und nicht ruhen, bis es restlos vernichtet sei, versprach der Präsident kurz nach dem Anschlag. Damit tat er den Terroristen den Gefallen, ihre Grauen erregenden Vorstellungen vom Endkampf zwischen Gott und Satan aufzunehmen und sie einfach nur umzudrehen. Man staunte nur noch, wie begeistert für intelligent gehaltene Leitartikler auch in hiesigen Zeitungen dieses Vokabular aufnahmen: Als ob es „das Böse“ jenseits aller Lebensumstände, in denen Menschen andere Menschen erniedrigen und entwürdigen, also als Abstraktum und Essenz, jemals gegeben hätte!

Wie können Menschen des 21. Jahrhunderts in einem Vokabular reden, das dem Mittelalter oder den Zeiten des Alten Testaments zu entspringen scheint? Die Frage verweist auf archaische Verbindungen zwischen Religion und Krieg, die im kollektiven Unterbewusstsein der Nationen immer noch herumspuken.

In ihrem Buch „Blutrituale“ zählt die US-Publizistin Barbara Ehrenreich diese Verbindungen auf. Ihre These: Lange bevor die Hominiden Jäger wurden, waren sie selbst Beute von wilden Tieren. Das sei das „Urtrauma“ der Menschheit, das bis heute in religiösen Satansbildern oder in Hollywoodfilmen über wilde Bestien durchbricht. Als unsere Vorfahren dann selbst Raubtiere zu töten begannen, empfanden sie unendlichen Triumph. Das sei „höchstwahrscheinlich der Ursprung der Gewohnheit der Menschen, Gewalt zu sakralisieren“, nimmt Ehrenreich an. In Blutopfern, die in allen alten Kulturen vom Ganges bis zu den Anden das zentrale religiöse Ritual waren, wurde diese Szene immer wieder dargestellt: Menschen wurden RaubtiergöttInnen und Tiere wurden MenschengöttInnen geopfert. Das Blutopfer wurde zur Siegesfeier des Evolutionssprunges von der Beute zum Jäger.

Die Treibjagden unter Beteiligung beider Geschlechter seien so erfolgreich gewesen, schreibt Ehrenreich weiter, dass das Großwild in der Mittleren Steinzeit fast ausgerottet worden sei. Die Stunde der Männer: Pfeil und Bogen, Dolch und Schleuder ließen den Stand des männlichen Jägers entstehen, der bald gegen seinesgleichen vorging und zum Krieger wurde.

Der soziale Wert von Weiblichkeit war schon immer eindeutig: Kinder bekommen und das Überleben der Sippe garantieren zu können. Wozu aber dient Männlichkeit? Seit der Erfindung der Waffen füllt der Krieg diese für Männer so schmerzliche Lücke: Fast überall auf der Welt war und ist der Krieg Männersache. Das männliche Geschlecht hat für die Erlangung dieses Machtmittels einen hohen, schrecklichen Preis bezahlen müssen. Nicht nur, weil Millionen von Männern auf den Schlachtfeldern gestorben sind. Sondern auch, weil ihre Körper und Seelen schon zuvor entmenscht, erniedrigt, verdinglicht, gedrillt und zugerichtet wurden, bevor sie sich widerstandslos in die Megamännlichkeitsmaschine Militär einfügen ließen.

Die Rückwirkungen auf die Geschlechteridentitäten waren enorm: Weiblichkeit ist, aber Männlichkeit muss sich immer von neuem beweisen, durch ewigen Kampf, Konkurrenz und Streit, durch „Tapferkeit“, „Mut“ und „Aufopferung“. Hier ist es wieder, das sakrale Blutopfer.

Kampf und Krieg markieren gleichzeitig die Geburtsstunden des männlichen Heroismus. Helden, die sich für andere opfern, machen sich unsterblich. Die Geburt durch einen Frauenkörper sei immer auch ein Todesurteil, weil jeder Mensch sterben müsse, schreibt die US-Forscherin Nancy Hardsock. Heldentum aber sei der männliche Versuch, diesen Defekt in einer „zweiten, homosozialen Geburt“ zu überwinden und zur Unsterblichkeit zu gelangen. In einer rein männlich strukturierten Gesellschaft – wie der islamischen – gebären sich die Helden quasi gegenseitig.

Sich in die Gedankenwelt der Terroristen um Ussama Bin Laden hineinzuversetzen, ist für unsereins schier unmöglich. Bin Laden scheint fest davon überzeugt, er sei von Gott gesandt, um einen Weltkrieg gegen die Ungläubigen und Bösen zu führen. Zusammen mit seinen Kämpfern will er Amerika, den großen Satan, in die Knie zwingen. Es soll zum Rückzug aus den heiligen Stätten Saudi-Arabiens gezwungen werden, genauso wie Israel, der kleine Satan, zum Rückzug aus Jerusalem.

Ein Schlüsselwort ist dabei „Dschihad“. In seiner ursprünglichen Bedeutung meint das Wort „Anstrengung“ und „Selbstüberwindung“. Der wahre Kämpfer sei jemand, wird der Prophet Mohammed im Koran zitiert, der gegen sich selbst in den Kampf zieht, gegen die eigene Mangelhaftigkeit, um den göttlichen Plan zu vollenden. Auch die Attentäter von New York und Washington müssen sich als Helden fantasiert haben, die den eigenen Überlebenswillen überwanden, ihr Leben hingaben für Allah. In Wahrheit entsprang ihre Tat einem Geltungsbedürfnis, das monströser nicht sein konnte.

In dem Motel in Florida, in dem zwei der Flugzeugentführer während ihrer Ausbildungszeit in der Flugschule wohnten, hing das Bild einer Frau, die eine nackte Schulter zeigte. Die Attentäter verhängten es mit einem Handtuch. Ein Detail, gewiss, aber es zeigt, wie gefährdet sich die Terroristen selber empfanden. Für gläubige Fundamentalisten sind Frauen gefährlich, weil Sexualität pur, sie lassen Männer die Selbstbeherrschung verlieren und stürzen sie in Raserei und Triebchaos. Ein fundamentalistischer Mann zu sein muss eine Daueranstrengung ohnegleichen sein, ein Leben in ewiger Spannung, wie ein Dampfkessel ohne Ventil.

Im Gegensatz zum Christentum, das die fleischliche Liebe zur Sünde erklärte, bekämpft der Islam nach den Worten der marokkanischen Soziologin Fatima Mernissi „nicht die Sexualität, sondern die Frau“. Sie gilt als minderwertig und unrein. In Saudi-Arabien, Afghanistan und anderen Ländern wird sie verschleiert und weggesperrt, dort ist die Geschlechterapartheid total. „Wenn ein Mann und eine Frau allein sind, ist der Teufel als Dritter dabei“, sagte Irans verstorbener religiöser Führer Chomeini einmal. Ein Paar, das zusammen auf der Liebesstatt liegt, darf den Kopf nicht nach Mekka drehen, und der Mann muss sich Allah immer wieder eindringlich ins Gedächtnis rufen.

Geschlechterapartheid und elende Lebensbedingungen bilden in vielen islamischen Ländern ein Milieu, in dem das Leben unerträglich wird. Viele Söhne, als solche früh von Müttern und Tanten verwöhnt und verhätschelt, erleben eine lange Pubertät voller sexueller Frustration und ökonomischer Ausgrenzung, hin und her geschüttelt zwischen tiefsten Minderwertigkeitsgefühlen und extremer Selbstüberschätzung, unfähig zum Genuss, unfähig zum Verzicht, mit Spannungen im Leib, die das eigene Selbst zu zerreißen drohen, wenn sie nicht ein äußeres Ziel finden.

Wir wissen nicht, wie die Attentäter aufwuchsen. Vielleicht so, vielleicht auch anders. Wir wissen nur, dass sie am Ende wirklich explodierten, mit explodierten: im obszönsten Wargasm, den es je gab.

Was sagt uns das alles? Es war ein furchtbarer Fehler der westlichen Politik in der Vergangenheit, Frauenrechte als etwas Sekundäres wahrzunehmen. Voller Verbitterung verweisen afghanische Frauen im Exil darauf, dass Ussama Bin Laden sein Handwerkszeug vom CIA lernte und die Taliban unter dem Schutz der USA in den pakistanischen Koranschulen herangezüchtet wurden. Auf lange Sicht hilft gegen fundamentalistischen Terrorismus nur die Stärkung der Zivilgesellschaft und vor allem die Stärkung der Frauen. Nicht weil sie die besseren Menschen wären. Sondern weil sie in die Logik von Kampf und Krieg nur rudimentär eingebunden sind.

UTE SCHEUB, 44, lebt als freie Autorin in Berlin