Die Vielfalt essen

■ Vierländer Platte versus Kohlrabi „Martha“: Öko-Essen überrascht den Gaumen

Auch wenn es sich nicht so anhört: Die Vierländer Platte ist nichts für Geologen. Sie kann weder gehört noch bereist, dafür aber angebaut und gegessen werden. Denn es handelt sich um eine uralte und rare Tomatensorte, fleischig und eher breit denn hoch, eben platt. Thomas Sannmann von der gleichnamigen Demeter-Gärtnerei in Ochsenwerder baut sie wieder an. Im Restaurant Vitalia in der Harburger Schloßstraße gab es sie kürzlich zu kosten.

Zum zweiten Mal hatten der Arbeitskreis Gentechnik des BUND und der Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt (VEN) zum Vielfaltsessen eingeladen. Die Teilnehmer sollten am eigenen Gaumen erfahren, dass es nicht nur Freude macht, alte Nutzpflanzen zu erhalten, sondern auch die Küche bereichert.

Die Züchtung von Pflanzen mit der Absicht, immer höhere Erträge zu erzielen, hat in den vergangenen Jahrzehnten zur einer Konzentration auf wenige Sorten geführt. Während früher in jeder Region andere, an Boden und Klima angepasste Kartoffeln und Tomaten angebaut wurden, sind es heute überall die gleichen. Pestizide, Düngemittel und geheizte Gewächshäuser machen es möglich, die Wünsche des Großhandels machen es nötig.

Das wird deutlich, wenn Birgit Rumkowski mit Thomas Sannmann fachsimpelt. Die gelernte Gärtnerin Rumkowski kultiviert 250 verschiedene Tomatensorten von denen sie ein paar Körbe voll zum Vielfaltsessen mitgebracht hat: Sie sind groß wie Granatäpfel und klein wie Johannisbeeren, gelb, orange, grün und rot, spitz wie Zipfelmützen, rund wie Golfbälle und manchmal auch birnenförmig.

Sannmann dreht sie behutsam zwischen seinen groben Fingern, er riecht und prüft und lässt sich über die Vorzüge und Nachteile ihm unbekannter Sorten auflären: süß und aromatisch; innen hohl – ideal zum Füllen; dünne Schale – gut für Senioren aber schlecht für den Transport, außerdem schwer zu pflücken.

Auf dem Teller zum ersten Gang hatten zuvor Scheiben der Vierländer Platte gelegen. Sie säumten einen Salat aus rotem und grünem Mangold, der wesentlich besser schmeckte als dessen gekochte Variante. Seine Blätter sind viel fester als die von Kopfsalat, aber dennoch gut zu essen. Er schmeckt scharf, etwa so wie Sprossen.

Auch die Kohlrabi der folgenden Rahmsuppe stammen von Sannmann. Da die alte Sorte keinen Namen hatte, nannte er sie kurzerhand nach seiner Großmutter „Martha“. Der Kohlrabi schmeckt mild und süß und harmoniert ganz prächtig mit den Rucola-Streifen auf der Suppe. Sie stammen vom Biohof Dannwisch bei Horst, der schon den Mangold beigesteuert hatte und auch die Bohnen für den Hauptgang lieferte: Bohnen-Kohlrabi-Gemüse mit sautierten Hörnchen-Kartoffeln.

Der Reporter war sich mit seiner Tischnachbarin uneins, ob die grünen oder die gelben Bohnen mehr nach Bohne schmeckten. Die schmalen Hörnchen-Kartoffeln, so wurde allgemein befunden, schmeckten jedenfalls sehr nach Kartoffel und erwiesen sich als angenehm bissfest. Gerne hätte der Reporter einige der bläulichen und rumpeligen Kartoffeln gekostet, die neben den Tomaten ausgestellt waren, aber darauf wird er wohl bis zum nächsten Vielfaltsessen warten müssen. Kaum waren sie zum Mitnehmen freigegeben, waren sie auch schon weg. Gernot Knödler

Kurzentschlossene können heute und morgen zum 4. Tag der Kulturpflanze ins Freilichtmuseum Schwe-rin fahren. Vom Bahnhof aus nimmt man die Straßenbahn 1 und wechselt beim Großen Dreesch auf den Bus 6. Dort gibt es Vorträge, Ausstellungen und eine Samenbörse.