Nett ist besser

„Vielleicht bin ich harmoniesüchtig“: Christian Kleine schichtet auf seinem Debütalbum allerlei Breakbeats, Electronica und HipHop-Samples zu einer herbstlichen Tapete auf

Herr Kleine ist ein sehr netter Mann, der dem Besucher Tee anbietet und Musik macht, die angenehm blubbert und knistert, klickt und dahintrödelt. Musik, in die man versinken kann, die aber auch problemlos eine hübsche Tapete mit herbstlichen Farben abgibt. Musik, die um die Ecke schmult und sanft lächelt. Musik, die einfach sehr schön ist.

„Wenn meine Musik glücklich macht“, sagt Christian Kleine, „dann ist es okay.“ Und weil es okay ist, wird dieser Tage sein erstes Album „Beyond Repair“ erscheinen. Ausgangspunkt für die meisten seiner Tracks mag ein persönliches, privates Gefühl sein, aber Ziel der Unternehmung ist dann, „eine Stimmung teilbar zu machen, denn im Ergebnis soll es nicht um mich gehen“. Tatsächlich funktioniert die Electronica von Kleine weniger als Ausdrucksform eines Produzentengenies denn als geduldiges Ruhekissen, auf dem sich in aller Ruhe die Befindlichkeit des Hörers entspannen darf.

Die Vorgeschichte des vor sechs Jahren aus Lindau im Bodensee nach Berlin emigrierten Kleine ließ eigentlich anderes erwarten. Dort beglückte er als Gitarrist und Schlagzeuger in Postrockbands, die selten aus dem Übungskeller herauskamen, oder als HipHop-DJ des einzigen Clubs vor Ort. Heutzutage sampelt er zwar immer noch vorzugsweise Rap-Platten, aber vor allem deshalb, weil er seine Plattensammlung in diesem Bereich am besten kennt und „weil das meistens schon selber gesampelt ist“. Außerdem verwendet er nur kleinste Sound-Schnipsel, die so lange bearbeitet werden, dass sie garantiert nicht mehr einem Original zuzuordnen sind. Daher könnten Kleines elegische Meditationen kaum weiter von HipHop-Breakbeats entfernt sein.

Zur elektronischen Musik kam er erst vor drei Jahren. Die Augen öffnete ihm Drum & Bass. Sein Ansatz als „Bastlertyp“ war eher ein forschender: Wie schneiden die denn diese kranken Beats? Also experimentierte er mit der Technik, arbeitete mit Samplern, greift aber immer wieder auch zur Gitarre. Erste Erfolge in den Clubs feierte er zusammen mit de:bug-Redakteur Thaddeus Herrmann als Herrmann & Kleine. Auf Herrmanns Label City Centre Offices erscheint denn auch „Beyond Repair“. Die einzige Lektüre auf Kleines Toilette ist ein halber Jahrgang des Fachmagazins Keyboards. Zuletzt hat er sogar begonnen, eigene Software zu programmieren, denn „auf dieser Ebene findet heutzutage das Basteln statt. Das Löten habe ich schnell wieder aufgegeben.“ Seit wenigen Tagen hat er einen Job in einer kleinen Firma, die Musik-Software herstellt.

Dem klassischen Klischee des Dotcomers entspricht Kleine noch nicht. Seine Haare stehen wild ab in alle Richtungen und oft findet er keine Antwort auf eine Frage. „Keine Ahnung“, sagt er dann, reibt sich die Hände und raucht noch eine Zigarette. „Melancholie ist schön“, sagt er, „Traurigkeit nicht. Melancholie ist ein sehr produktives Gefühl für mich.“ Und dass auch seine Musik schön ist, sagt er noch, schön sein soll. „Vielleicht“, vermutet Kleine, „bin ich ja harmoniesüchtig.“ Vielleicht ist es ja auch „eine Frage des Alters“, sagt der mittlerweile 26-Jährige und erzählt, dass er sich zwei, drei Jahre lang in Berlin so ausführlich nächtens durch die Clubs getrieben habe und sich seitdem als „Kind vom Lande“ eher nach Ruhe sehnt.

Kleine ist selbst im beschaulichen Pankow, wo er lebt, „oft genervt, wenn ich von draußen komme. Man fährt mit dem Fahrrad durch die Hundescheiße, der Fahrradweg ist voll geparkt und von der Straßenbahn wird man fast überfahren. Manchmal kann ich das nicht ausblenden. Vielleicht ist die Musik ja deshalb so ruhig.“ Und dann, sehr vorsichtig: „Ich will, dass meine Musik jemand anderem was gibt.“ Also schichtet er einfach weiter so lange Töne übereinander, bis sich der Wohlklang wie von selbst Bahn bricht. Als würde sich Musik von purer Nettigkeit überwältigen lassen.

THOMAS WINKLER

Christian Kleine: „Beyond Repair“ (City Centre Offices/Morr Music/Kompakt/Indigo); am 3. 10. legen Herrmann & Kleine beim WienBerlin-Festival im BKA-Luftschloß auf