Sexy Charmeoffensive

Pieseln gegen Konventionen: Der spanische Filmemacher Pedro Almodóvar mag Frauen und hasst blasse Farben. Nun hat er von Arsenal und Filmmuseum Potsdam eine Retrospektive bekommen

von ANDREAS BECKER

Wahrscheinlich hat er auch den elenden General Franco zur Strecke gebracht. Als der 1975 endlich starb und Spanien über Nacht geschenkt wurde, was wir Freiheit nennen, hatte Pedro Almodóvar gerade seine ersten Kurzfilme abgedreht. Einer davon hieß „Zwei Nutten oder Die Liebesgeschichte, die mit einer Hochzeit endet“. Zuvor war er zusammen mit seinem Bruder nach Madrid „geflüchtet“. Seit Mitte der Fünfziger arbeitet er unter anderem bei der staatlichen Telefongesellschaft. Irgendwie muss er ja sein Geld verdienen. Seine Leidenschaft liegt aber auf der künstlerischen Ebene: Almodóvar arbeitet als Schauspieler, Sänger, hängt nachts in der Szene (La movida) rum, konstruiert Fotoromane und Kurzgeschichten.

Von 75 bis 78 macht er weitere Kurzfime, vor allem Super 8, viel Politisches. Dann folgt 1980 der erste Langfilm. Es ist ein greller Knaller, der noch heute anarchisch und kreischbunt wirkt. Natürlich geht’s um Frauen. Etwas hölzern heißt der deutsche Titel „Pepi, Luci, Bom und andere Mädchen aus der Clique“.

Kurz nach Beginn von Punk verfilmt der Regisseur wilde Fantasieprodukte, fast fanatisch, möchte man sagen. Die Zeiten und die Leute in der Szene waren wohl auch reichlich durchgeknallt: Spanien erlebte bis weit in die Achtziger einen nicht gerade kurzen Sommer der Anarchie. Allzu viel musste nachgeholt werden. Drogen, Sex und Punkmusik bildeten nur den Boden des ganz neuen Lebensgefühls.

Ziemlich lustig, aber auch nervig wie quäkende Kleinkinder sind die Figuren im Film. Pepi und ihr Verein veralbern nicht nur einen Polizisten, der glaubt eine Hanfpflanze auf dem Balkon entdeckt zu haben. Als der Bulle die Wohnung filzen will, überrascht die Beklagte ihn mit einer sexy Charmeoffensive, die im Angebot eines Gratisbeischlafs endet – meint zumindest der Polizist. Allein diese Eröffnungsequenz hätte in ihrer Demaskierung des Obrigkeitsstaats bis 1975 die Guardia Civil in ihren Dreieckshüten vorm Kino aufmarschieren lassen. Die weiter recht explizite Darstellung lesbisch oder sonstwie konnotierter Sexualpraktiken – Pipi lässt sich von der Freundin gegen Kopfschmerzen direkt in den Mund pieseln – war damals wohl auch relativ neu auf der Leinwand. Der Film wurde natürlich zum Filmfestival von San Sebastián eingeladen.

Sehr hübsch und einigermaßen männermachtverringernd ist auch die Szene in einem Danceclub. Die Herren der Schöpfung müssen ihren Schwanz nach Länge und Durchmesser per Maßband erfassen lassen. Pepi errechnet dann mit ihrem Taschenrechner einen Schwanzkoeffizienten, der dem johlenden Publkum postwendend mitgeteilt wird. Öffentliche IQ-Tests sind nichts dagegen.

In der Almodóvar-Werkschau im Arsenal und im Filmmuseum Potsdam werden auch alle weiteren Highlights seines Schaffens zu sehen sein. So kann der Cineast auch den nächsten Streich von 1982 sehen: In „Labyrinth der Leidenschaften“ verliebt sich eine gewisse Sexilia, Nymphomanin aus gutem Hause, in Riza, Sohn eines gestürzten arabischen Herrschers. Dieser Sohn hat eine heftige Affäre mit Sadec, Mitglied eines – aktuell, aktuell – arabischen Terrorkommandos, gespielt von Antonio Banderas. Künstliche Befruchtung und Sonnenphobie runden das „Labyrinth“ zu einer göttlichen Komödie. Im Jahr danach begibt sich Almodóvar freiwillig in die Fänge einer ganz besonderen Anstalt: „Im Kloster des heiligen Wahnsinns“ regiert eine Oberin, die heroinsüchtig ist. Im Kloster der „Gedemütigten Retterinnen“ erliegt Schwester Schmutzig mitunter ihren grell neonfarbenen LSD-Räuschen von Sauberkeitswahn.

„Es ist mein abstraktester Film über sexuelle Lust und Tod. Für mich mein romantischster und verzweifeltster Film, er handelt von der Sinnlichkeit des Stierkampfs und der Lust daran“, sagte der Meister über „Matador“ von 1986. Der ehemalige Torero Diego trifft eine Anwältin, die dem gleichen Laster fröhnt wie er. Beide lieben es, ihre Liebhaber beim Orgasmus abzumurksen.

Noch bekannter wird der Spanier 1989 mit „Átame! Fessle mich!“ Noch vor dem Hype von S/M geht Almodóvar radikal wie immer vor, „drastisch setzt er sich über die Gesetze von Gut und Böse hinweg und verwirft jegliche Form von bürgerlicher Moral“ (Arsenal). Dass man Hollywood nicht so leicht mit Schocks zum Preisverleih treibt, zeigt das Jahr 2000. In dem erhält Almodóvar endlich einen Oskar für den besten „Ausländischen Film“. Für „Alles über meine Mutter“. Lange schon also Zeit für eine umfassende Retro.

Bis 29. 10. im Arsenal, Filmmuseum Potsdam, International, Delphi und Obenkino Cottbus