„Keine Daumenschrauben ansetzen“

■ Verfassungsschutz-Chef Reinhard Wagner wehrt sich gegen Vorwürfe der Untätigkeit gegen islamistische Gruppen in Hamburg. Rechtsextremismus bleibt Schwerpunkt der Arbeit

Der Chef des Hamburger Landesamtes für Verfassungsschutz, Reinhard Wagner, hat erneut vor zu großen Erwartungen an die Nachrichtendienste bei den Ermittlungen im Bereich des islamistischen Extremismus gewarnt. „Wir sind keine omnipotente Geheimpolizei, die mit allen möglichen Befugnissen ausgestattet ist“, sagte Wagner in einem dpa-Gespräch. Es sei grotesk, auf der einen Seite einen Nachrichtendienst, der kontrolliert werde und auf der anderen Seite alle geheimdienstlichen Methoden und Erkenntnisse zu erwarten.

Wagner verwies darauf, dass die etwa 120 Mitarbeiter des Verfassungsschutzes in jüngster Zeit zunehmend mit dem Thema Rechtsradikalismus befasst waren. „Wir waren eingebunden in tagesaktuelle Aufgaben, in deren Mittelpunkt der Rechtsextremismus stand. Verbotsantrag der NPD, Skinhead-Konzerte und Nazi-Aufmärsche sind Themen, wo Politik und Öffentlichkeit zu Recht erwarten konnten, dass der Verfassungsschutz tätig wird.“

Am 20. September hatte SPD-Innensenator Olaf Scholz eine halbe Million Mark aus „diversen Töpfen“ der Innenbehörde zuguns-ten des Verfassungsschutzes umgeschichtet. Damit soll die „Beobachtung islamistischer Gruppen“ personell und technisch intensiviert werden. Grundlage war ein „streng vertraulicher“ Bericht, den Scholz von Wagner angefordert hatte. Nach taz-Informationen legte der Noch-Innensenator Wert darauf, dass die Beobachtung des Rechts-extremismus weiterhin ein Schwerpunkt der Tätigkeit des Verfassungsschutzes bleibe. Zudem ordnete Scholz die Rasterfahndung an, bei der nach bestimmten Täterprofilen gesucht wird. Diese datenschutzrechtlich höchst umstrittene geheimpolizeiliche Methode soll gerade auch „Unauffällige“ wie die drei arabischen Studenten herausfiltern, die über längere Zeit in der Stadt leben, ohne polizeilich in Erscheinung zu treten.

In einem Rechtsstaat unterliege auch der Verfassungsschutz Einschränkungen wie etwa datenschutzrechtlichen Bestimmungen, sagte Wagner: „Wir haben keinen Überwachungsstaat und können niemandem Daumenschrauben ansetzen, und das ist auch gut so.“ Kritikern, die dem Landesamt Versagen beim Aufspüren der in Hamburg lebenden Attentäter vorgeworfen hatten, hielt Wagner eine Verkennung der Situation vor.

„Es geht mit Sicherheit deutlich über die Möglichkeiten des Hamburger Verfassungsschutzes hi-naus, in ein offenbar weltweit verzweigtes und professionell handelndes Terroristennetz – leider mit einem Stützpunkt in Hamburg – einzudringen und aufzuklären“, sagte Wagner. Dafür seien zum einen die personellen Ressourcen des Landesamtes viel zu klein. Auch der Austausch mit anderen Verfassungsschutzorganen des Bundes und der Länder habe keine Hinweise auf die furchtbaren Ereignisse in den USA erbracht. Selbst die großen US-Nachrichtendienste hatten keine Informationen, obwohl die Attentäter sich in Flugschulen in den USA auf ihre Anschläge vorbereitet hätten. „Es gab keine Spur, weil wir noch keine Tat hatten.“

Es sei zudem extrem schwierig, islamistische Gruppen „zu penetrieren“, sagte Wagner. Wer so politisch-religiös eingestellt sei, gebe nicht seine Kenntnisse weiter. Mögliche V-Leute lebten in einem ständigen Gewissenskonflikt, nicht nur allgemeiner, sondern auch religiöser Art. „Die verraten ja aus ihrer Sicht nicht nur ihre politischen Weggenossen, sondern die verraten auch Allah. Mit einer solchen Einstellung ist die Bereitschaft, als V-Mann zu arbeiten sehr gering. Und wenn sie jemanden gefunden haben, ist nicht garantiert, dass er ihnen alles erzählt.“

Zum Kenntnisstand des Hamburger Verfassungsschutzes vor den Anschlägen vom 11. September sagte Wagner: „Wir kannten einige Leute, von denen wir Anhaltspunkte hatten, dass sie zum Umfeld von Bin Laden Kontakte haben könnten, ohne Hinweis auf irgendwelche strafbaren Handlungen. Wir sind natürlich diesen Hinweisen nachgegangen.“ Das sei aber unendlich schwierig gewesen. Es habe einem Stochern im Nebel geglichen. „Wir dürfen heute doch nicht so tun, als wenn wir schon alle den 11. September mit seinen grauenhaften Ereignissen vor Augen hatten. Das hat doch kein Mensch so vorhergesehen.“

Hans-Jürgen Ehlers/ smv