Im Auge des Wachmanns

Schon heute wird mit Videokameras weitaus mehr überwacht als Eingangsbereiche von Kaufhäusern und Ministerien. Dreißig Demonstranten wollte darauf aufmerksam machen – und wurden gefilmt

von KATRIN CHOLOTTA

Auf Berliner Straßen ist jeder ein TV-Star. Auch ungewollt. „Achtung! Sie werden beobachtet“, tönt es aus dem Megafon eines „Experten“ der Berliner Gruppe „autopool“. Mit einem Stadtspaziergang gegen Videoüberwachung machten am Sonntag etwa 30 Leute auf die Alltagsvision des des Fernsehspektakels „Big Brother“ aufmerksam. Gekleidet in weiße Kittel und bewaffnet mit Kreide rückten sie die oft unscheinbaren Videokameras vor Kaufhäusern und Ministerien ins Licht der Öffentlichkeit.

Allein auf dem Weg vom U - Bahnhof Mohrenstraße durch das Regierungsviertel bis zur Friedrichstraße beobachten 70 Videokameras jeden Schritt und Tritt. Der Gang zum Sozialamt Neukölln gleicht dem eines Fernsehauftritts: Hier überwachen 19 Kameras Flure und Foyer.

Eine rechtliche Grundlage sei „lediglich für die Überwachung der Eingangsbereiche gegeben“, sagte Organisator Florian Schneider, „trotzdem werden ganze Straßenzüge gefilmt“. So zieren auch zahlreiche Kameras die grauen Fassaden des n-tv Gebäudes in Berlin-Mitte. Kurioserweise befindet sich keine einzige im Eingangsbereich. „Dies geht weit über die Sicherung des Gebäudes hinaus“, so Schneider. Der 38-Jährige empfindet die Videoaufzeichnung als eine radikale Einschränkung seiner persönlichen Freiheit. Das Mindeste sei, dass die überwachten Plätze gekennzeichnet werden: „Das holen wir heute nach.“

Mit greller Kreide machte sich nun das Expertenteam daran, den Sichtbereich der Linse farblich zu markieren und mit der Aufschrift zu plakatieren: „Dieser Bereich wird videoüberwacht. Zum Schutz Ihrer Persönlichkeitsrechte wird empfohlen, sich durch eine geeignete Verkleidung unkenntlich zu machen.“

Die Videoaufnahmen wahren zudem längst nicht mehr die gesetzlich geforderte Anonymität. „Auch wenn die meisten Kameras nur grobe Übersichtsbilder liefern, macht es moderne Computersoftware möglich, Menschen durch Bewegungsprofile zu identifizieren“, argumentierte Organisator Schneider. Abgesehen davon sei es auch ein Irrglaube, dass die filmische Überwachung zu einer höheren Sicherheit beitragen würde. Ganz im Gegenteil. Kaufhäuser würden die Videobilder auch für die Auswertung des Schaufensterverhaltens von Passanten nutzen, sagte Schneider: „Das ist schlichtweg illegal.“

Auch PDS-Fraktionschef Harald Wolf warnte inzwischen vor Sicherheitsmaßnahmen, die über das Ziel hinausschießen. Angesichts der Ereignisse in den USA gebe es derzeit Vorschläge, „die mit der Absicherung gegen terroristische Gefahren nichts zu tun haben“. Eine Videoüberwachung werde keine Terroristen von einem Anschlag abbringen, argumentierte Wolf.

Unter dem Motto „Wir beobachten zurück“ wollte „autopool“ beim gestrigen Spaziergang jede einzelne Kamera penibel kennzeichnen, um sie anschließend unter der eigens eingerichteten Adresse www.so36.net/autopool im Internet zu veröffentlichen. Doch bereits nach der vierten Kamera bereitete die Polizei dem Tun ein Ende. Dank Videoüberwachung konnte ein Sicherheitsbeamter des Fernsehsenders n-tv das bunte Treiben genauestens beobachten und erstattete unverzüglich Anzeige.