DIE DISKUSSION ÜBER BUNDESWEHREINSÄTZE GEHT AN DER SACHE VORBEI
: Krieg ist keine Mutprobe

Virtuelle Diskussionen ohne jeden Bezug zur Realität haben schon länger Konjunktur. Manchmal ist das egal oder sogar komisch – zum Beispiel dann, wenn die FDP darüber streitet, ob sie bei den Bundestagswahlen 18 Prozent der Stimmen bekommen möchte oder lieber doch nicht. Aber im Zusammenhang mit Krieg und Frieden ist Schluss mit lustig. Das Thema eignet sich nicht für medienwirksame Positionsbestimmungen im Nirgendwo. Die Tatsache, dass einige führende Politiker sich dessen nicht bewusst zu sein scheinen, legt die Frage nahe, ob sie wirklich wissen, wovon sie eigentlich reden.

Es ist überaus erfreulich, dass die heutige Generation deutscher Spitzenpolitiker nie einen Krieg erlebt hat. Weniger erfreulich ist es, wenn manche in ihren Reihen nun über einen möglichen Krieg sprechen, als handele es sich um eine Novelle der Steuergesetzgebung oder, schlimmer noch, um eine Mutprobe unter Grundschülern. Deutschland dürfe sich bei der Terrorismusbekämpfung nicht als „Drückeberger“ darstellen, sagte die CDU-Vorsitzende Angela Merkel am Wochenende. Was für eine Wortwahl!

Derzeit kennt vermutlich niemand in Deutschland die konkreten Pläne der USA, nicht einmal der Bundeskanzler. Das möchte man jedenfalls im Interesse aller Soldaten hoffen, wenn man bedenkt, wie unbefangen Verteidigungsminister Rudolf Scharping über alle möglichen sensiblen Themen vor laufenden Kameras plaudert. Fest steht immerhin: Bisher ist die Bundeswehr nicht um Hilfe gebeten worden. Gegenwärtig sind aller Augen auf Afghanistan gerichtet – ob zu Recht oder zu Unrecht, das wird sich noch zeigen. Allein schon die geringe Reichweite deutscher Transportflugzeuge stellte eine größere Operation deutscher Militärs in dieser Region vor erhebliche technische Probleme. Natürlich kann man ein paar Zwischenlandungen einlegen, bei denen die Maschinen aufgetankt werden. Aber es ist nicht anzunehmen, dass die Strategen im Pentagon das für wünschenswert halten, wenn sie denn wirklich einen Angriff auf Afghanistan planen.

Eine deutsche Beteiligung an Militärschlägen bedeute eine Zerreißprobe für die Grünen und gefährde die Koalition, hieß es in der letzten Woche. In dieser allgemein gehaltenen Form ist das Unfug. Sollte beispielsweise der – äußerst unwahrscheinliche – Fall eintreten, dass die Eliteeinheit KSK mit der Befreiung inhaftierter Mitarbeiter der Hilfsorganisation „Shelter Now“ aus Afghanistan beauftragt wird, und sollte der – ebenfalls unwahrscheinliche – Fall eintreten, dass sie damit erfolgreich ist, dann werden die Grünen diese Aktion kaum hinterher auf einem Parteitag verurteilen. Sollte die Bundeswehr hingegen – was auch nicht anzunehmen ist – um Unterstützung bei Flächenbombardements irgendwo auf der Welt gebeten werden, dann dürften nicht nur grüne Abgeordnete damit Probleme haben. Meint der SPD-Fraktionsvorsitzende Peter Struck wirklich, dass alle Sozialdemokraten bereit wären, die Tötung vieler schuldloser Zivilisten allein um der uneingeschränkten Solidarität mit den USA willen als unvermeidlich hinzunehmen? Get real.

In der politischen Diskussion der letzten Tage sind Schützengräben an Orten befestigt worden, an denen vermutlich niemals eine Schlacht stattfindet. Damit schaden sich beide Seiten. Wenn demnächst ein umstrittener Schritt der USA von jemandem gerechtfertigt wird, der zuvor die bedingungslose Gefolgschaft gegenüber Washington zum elften Gebot erklärt hat, dann wird ihm kaum noch jemand zuhören. Schließlich hat er seine Meinung ja bereits gebildet und öffentlich verkündet, bevor er wusste, wozu er überhaupt eine Meinung hat. Umgekehrt gilt dasselbe. Wer jetzt den Kurs der Vereinigten Staaten verurteilt, ohne ihn zu kennen, setzt sich dem Verdacht aus, dass sich seine Überzeugung nicht auf Fakten, sondern auf Reflexe stützt.

Derzeit bewegt sich die Debatte um Zustimmung oder Ablehnung militärischer Einsätze der Bundeswehr im Zusammenhang mit der Bekämpfung des Terrorismus im luftleeren Raum. Bedeutungslos ist sie dennoch nicht. Die Konzentration auf eine Frage, die möglicherweise nie beantwortet werden muss, lenkt von Themen ab, die tatsächlich zur Entscheidung anstehen. Wie beispielsweise die geplanten Maßnahmen im Bereich der Inneren Sicherheit oder die gesetzliche Regelung der Zuwanderung. Es wäre ein schlimmer Kollateralschaden des Kampfes gegen den Terror, wenn Diskussionen über diese Themen jetzt für überflüssig gehalten würden. BETTINA GAUS