Im Logenplatz des Himmels

■ Ballonfahrer in Bremen: Die Helden der Lüfte fliegen nicht, sie fahren, wohin der Wind sie treibt. Unterwegs treffen sie Kühe, Mädchen – und die totale Stille

Eines Abends vorm Kamin müssen Etienne-Jacques und Michel-Joseph das Heureka-Erlebnis ihres Lebens gehabt haben: Da blähte die heiße Luft des Feuers doch glatt die Hosenbeine der Montgolfier-Brüder in die Höhe. 220 Jahre nach der Erfindung der Ballonerei schweben wir gemächlich wie eine Luftmatraze auf dem Unisee in 305 Metern Höhe Richtung Delmenhorst. Und haben die Ruhe weg: Nordwind, Kurs 249 Grad, 9,5 Kilometer pro Stunde. Unten schwarz-weiße Sprenkel auf grünem Teppich, grasende Kühe, vor uns liegt Huchting, da hinten der Teutoburger Wald. Boah ej!

Überall hängen sie wie kleine Tropfen am Bremer Horizont: Vom Werdersee kommt einer rüber, da hinten, das müssten Sogi und Hannelore mit ihrem Ballon sein. Es ist ein schöner Mittwochabend, die Balloner-Community trifft sich on air. Auf und ab, dem besten Luftstrom folgend, schieben sie sich wie bunte Flummis in Mega-Zeitlupe durch den Bremer Himmel. Unten das Rauschen einer Straße, hier oben totale Stille. Selbst der Wind macht keinen Mucks – wir sind ja mittendrin in den Böen, in der Thermik, die das 23-Meter-Gerät lenkt.

Werner Redeker schaut ins Grenzenlose und atmet tief durch: „Hier ist der letzte Logenplatz im Himmel.“ Pilotenkollege Joachim Billenstein bearbeitet kurz den Brenner und seufzt: „Für mich ist das wie der Aus-Schalter vom Job. Wenn ich daran denke, gibt–s nix anderes mehr.“ Eine Stoßflamme faucht in die Ballonhülle, dann wieder diese unendliche, unbezahlbare Ruhe. Wir steigen.

„Nur fliegen ist schöner“ – das sagt sich so. Nein, nur Ballonfahren ist schöner. Und damit das mal klar ist: Ballone fliegen nicht, „wir fahren. Wie alles, was leichter ist als Luft“, betont Redeker. Und: „Das ist ein physikalisches Gesetz.“ Der Ehrenvorsitzende des Bremer Vereins für Luftfahrt muss es wissen. Er hat die Ballonsportgruppe 1985 gegründet. „Und seitdem“, Redeker klopft auf den Korb, „ist kein echter Unfall passiert.“ Heute haben die Bremer Balloner 70 Mitglieder, 15 aktive Piloten, eine Singer-Nähmaschine, um die kleinen Löcher zu flicken, 8 Ballone und einen 3.000 Liter großen Propangastank.

Zurück zum Start. Ventilatoren pusten Luft, die Fahrer reißen und zerren an den Hüllen, damit die vier Ballone, die heute vom Flughafen Bremen starten sollen, sich aufblähen. 2.600 Kubikmeter Luft müssen rein, mal schwingt die Hülle schlaff nach links, dann wiegt sie sich schon etwas steifer nach rechts, binnen knapp zehn Minuten stehen die Ballone wie 'ne Eins. Der Blau-Bunte geht zuerst ab, dann der „Taxi-Ruf Bremen“, vor uns schießt der „Tiger“ mit seinen zwei Ohren wie ein Aufzug in den Himmel. Das Gas reicht noch für dreieinhalb Stunden.

Sie fuhren schon überm Oman, über Indien, über dem Polarkreis, den USA, standen mitten in Rom und sausten ohne Sauerstoff in 3.600 Metern Höhe durch die Luft. Sie schwebten inoffiziellen Weltrekord, als sie zusammen mit 18 anderen Ballonen gleichzeitig eine Pulle Schampus über Mallorca öffneten. „Und dann war ich 1989 bei der WM in Japan“, erzählt Redecker. Seine stolze Ballonfahrerseele scheint uns ein paar Meter in die Höhe zu ziehen: „Eigentlich war das ja nur just for fun. Aber als einer aus dem deutschen Team ausfiel, bin ich eingesprungen.“ Und? Redeker: „7. Platz! Das war schon irre.“ Boah ej.

Allerdings ist auch in ein paar hundert Metern Höhe nicht immer alles eitel Sonnenschein. Ein gewerblicher Fahrer hat die Bremer Vereins-Balloner attackiert: Sie hätten keine richtige Versicherung und auch keine Lizenz, Passagiere mitzunehmen.

Alles Quatsch, sagt Redeker und wittert handfeste finanzielle Interessen hinter den Anschuldigungen. Natürlich gehe bei den Vereinsfahrern alles mit rechten Dingen zu. Und überhaupt: „Die Bremer Luftfahrtbehörde hat uns ausdrücklich bescheinigt, dass sie keine Bedenken hat, wenn wir Passagiere mitnehmen.“

Bei Ganderkesee endet der Einzugsbereich des Bremer Towers. „Hier Delta Oskar Papa Mike Delta – wir verlassen jetzt die Flugzone“ – „Tschühüs, schönen Flug“, funkt der Lotse. Unten winken zwei Mädchen: „Hey! Hallo! Huhu!“ Redeker und Billenstein grüßen freundlich. Nochmal von unten „Hey! Hallo! Huhu!“ Potzblitz: Da ziehen die Mädels doch glatt ihre T-Shirts in die Höhe. Dabei hatten die Balloner doch schon ganz genau hingeschaut. Sachen gibt's...

Kaum sind die Helden der Lüfte richtig in Fahrt gekommen, sucht Billenstein, im normalen Leben Fernsehausstatter bei Radio Bremen, auch schon einen Landeplatz. So ein Unternehmen kann ganz schön komplex sein. Wenn das Verfolgerfahrzeug die Stelle nicht gut erreichen kann, ist schon mal Essig: Ein Ballon samt Korb wiegt 780 Kilo, zu schwer, um ihn zurück zum Flughafen zu tragen.

Aber auch abgesperrte Wiesen, Kartoffeläcker, militärisches Sperrgebiet und Hochspannungsleitungen sind absolut tabu. „Und diese Viecher!“, Redeker meint weidende Tiere, die vielleicht im Weg stehen, „mit denen musst du reden, damit sie nicht durchdrehen. Mit Pferden geht das, mit den Kühen ist es schwerer. Hohoho!“, ruft er Richtung Kuh nach unten. Und als sie wegrennt: „Wir sind die Kuhflüsterer!“

Wir sacken, plumpsen ein paar Mal auf ein Stoppelfeld, hüpfen über einen Graben. Endstation ist ein Kaff namens Holzkamp. Nach einer guten Stunde Fahrt landen wir 14 Kilometer vom Flughafen entfernt.

Die Knie wackeln ein bißchen und irgendwie erscheint's dem Erstflieger wie ein Wunder, dem fliegenden, unlenkbaren Ungetüm so ganz ohne Kratzer entkommen zu sein. Das ist aber nur der erste Gedanke. Der zweite: „Ich will sofort wieder Ballon fahren!“

Kai Schöneberg