„Barbarischer Klang“

■ Eine komplette (!) Aufführung von Béla Bartóks „Wunderbarem Mandarin“

Furios hat das Philharmonische Staatsorchester unter seinem Dirigenten Günter Neuhold die neue Saison in der Glocke eröffnet: mit einem Stück, das bei seiner Uraufführung 1926 ein solcher Bürgerschreck war, dass der damalige Bürgermeister der Stadt Köln – Konrad Adenauer – weitere Aufführungen verbieten ließ. Es handelte sich um Béla Bartóks Pantomime „Der wunderbare Mandarin“ (1918-1923), aus dem Bartók dann, um die Musik zu retten, eine Konzertsuite herstellte, in der er die besonders anstößige Schlussszene wegstrich. Es war nicht der einzige Verdienst dieses Abends, das komplette Werk zur Aufführung zu bringen. Das Sujet: drei Männer zwingen ein junges Mädchen, Männer anzulocken, die sie dann ausrauben. Einer der drei ist der Mandarin, der trotz Erstickungs- und Erstechungsversuchen nicht sterben kann, weil seine Augen an dem Mädchen hängen. Erst als das Mädchen sich ihm zuwendet, weil es sich seiner Ausstrahlung nicht entziehen kann, stirbt der Mandarin.

Fast wirkte es so, als wollte Neuhold die Wirkung der Uraufführung wiederholen, so kompromisslos peitschte er den „barbarischen Klang“ heraus und konfrontierte ihn mit dem soghaften Espressivo. Die rhythmisch fundierten Steigerungen – vergleichbar nur dem sieben Jahre vorher komponierten „Sacre du Printemps“ von Igor Strawinski – , die hier besonders in der Hetzjagd zwischen dem Mandarin und dem Mädchen in einem unerhörten Klangrausch enden, liegen Neuhold besonders. Es scheint, er bringt hier eines seiner Lieblingswerke zu Gehör. Es ist in dieser Aufführung mit ihren atemberaubenden dramaturgischen Dispositionen gelungen, die Musik so bildlich zu präsentieren, dass die archaische Geschichte vor dem inneren Auge ablief: da kann man wirklich nicht verstehen, dass sich das Staatsorchester zum Beispiel in einem Musikfestkonzert mit Werken von Gershwin derart unter Wert verkauft.

Eingangs gab es Johannes Brahms' letztes Orchesterwerk, das Doppelkonzert für Violine, Violoncello und Orchester: „meine letzte Dummheit“ hat der Komponist das geschmeidige Werk genannt. Unbändig und kraftvoll der Orchestersatz, trotzdem voller Transparenz der thematischen Arbeit über eine einfache Grundsubstanz, bei der man besonders auch in dieser sorgfältigen Interpretation an Detailbeobachtungen kein Ende finden kann: die positive Kehrseite von dem, was Komponistenkollege Hugo Wolf so böse als das Komponieren ohne Einfall bezeichnete. Die beiden jungen Solisten Daniel Hope und Alban Gerhardt spielten ebenso poetisch wie kraftvoll. Ein Saisoneröffnungskonzert, wie man es sich in Programmgestaltung und Interpretation kaum besser vorstellen kann. Ute Schalz-Laurenze