Malen, sehen, sinnieren

Was die Kunst in diesen schweren Tagen leistet. Ein gelungener Performance-Bericht

LICHTENFELS taz ■ Kurzes Verharren vor der leeren Leinwand, dann ein zielgerichteter Griff nach den schon bereitliegenden Farben Sepia, Türkis, Pink – und schon konnten die zahlreich erschienenen Zuschauer Auge in Auge das Werden eines Bildes erleben. Aahs und Oohs durchfluteten den Raum, unterbrochen nur vom Tropfen der Farben, die auf die helle Leinwand spritzten wie ein Orkan. Das war Kunst live. Kunstgenuss pur. Eine Performance von Rang und Namen.

Francesco Chieppa, der bekannte Mailänder Kunstmaler aus Italien, ließ am Dienstag vor der Lichtenfelser Bibliothek seiner Kreativität zu lautstarken Klängen von „U 2“ freien Lauf. Auf einer zwei mal zwei Meter großen Leinwand kreierte er seine Vorstellung eines Paradieses für alle Religionen. Einem Paradies in dem keiner Angst vor dem Anderssein haben muss. Diese Performance war auch im Hinblick auf die aktuelle Thematik der radikalen Islamisten mit einer brandaktuellen Dimension aufgeladen. In kräftiger expressionistischer Farbigkeit entstand unter den gespannten Blicken der interessiert zuschauenden Betrachter ein Bild, welches im Anschluss an die Performance versteigert werden sollte, zugunsten einer Spende für die Terroropfer von New York.

Ein toller Gedanke, doch so schnell konnte sich keiner von den Besuchern der Performance zum Ersteigern entschließen. Immerhin kostet ein „Original- Chieppa“ in der Regel über viertausend deutsche Mark. Doch ist es allemal eine vielversprechende Geldanlage und zudem für einen sehr guten Zweck bestimmt. Noch circa drei Wochen ist das expressionistische Gemälde in der hiesigen Bibliothek in Lichtenfels zu sehen, unter anderem neben zahlreichen anderen Bildern des berühmten italienischen Künstlers, welcher aus Mailand in Italien kommt.

Der italienische Aktionskünstler und 46-jährige Ex-Profiboxer ist international bekannt für seine spektakulären Auftritte, die er zur Musik von „U 2“ zelebriert. Chieppa porträtierte unter anderen schon Fidel Castro, Che Guevara und Papst Johannes II. und ist befreundet mit Wolfgang Niedecken von der Kölner BAP-Gruppe. Seine Gemälde sind echte „Handarbeit“, denn Chieppa malt ausschließlich mit den Fingern. So entstehen Räume und Strukturen, die geprägt sind von großer Dynamik. Die Bilder sind voll mit unruhigen Formen und leuchtenden Farben im Stile des Expressionismus. Dabei spielt auch die Farbe eine große Rolle. Mit seinen Farbkompositionen verlockt er das Auge des zuschauenden Betrachters, sich auf die Suche nach den Bildräumen zu begeben, immer wieder Neues zu entdecken. Man sollte sich die Zeit nehmen für die Bilder, Zeit zum Betrachten und Sinnieren.

Alles in allem – es war ein guter und reicher Abend mit Francesco Chieppa. Allerdings befanden sich auch bis auf einen männlichen Gast die Damen unter sich. Den Initiatoren von der hiesigen Bibliothek und den Terroropfern von New York wäre freilich zu wünschen, dass sich in dieser Zeit doch noch ein zahlungskräftiger Mäzen oder eine andere Institution für den Erwerb des Bildes anfindet. Wer mehr über den Italiener Francesco Chieppa aus Mailand, der auch als „Wilder Maler“ bekannt ist, erfahren möchte, ab Anfang Januar wird in Eisenberg (Thüringen) eine größere Ausstellung mit sehr bewegenden expressionistischen Bildern zur Thematik Konzentrationslager zu sehen sein. Eine Thematik, die den ehemaligen Ex-Profiboxer auch aufs Tiefste berührte. MICHAEL RUDOLF