Zurückgekehrt aus dem Dschungel

Lange war Golfprofi John Daly das Enfant terrible der Szene: ein verfetteter Alkohol-Junkie und Haudrauf, unberechenbar, spielsüchtig, tablettenabhängig. Jetzt kommt er als einziger US-Amerikaner zu den German Masters nach Pulheim

aus Pulheim BERND MÜLLENDER

Der Golfprofi John Patrick Daly (35) ist Extremist in allen Lebenslagen. Und oft schon hat er in seinem Leben die Rollen gewechselt. Lange war er das größte Talent seines Sports. Keiner prügelte je die Bälle weiter als er, auch Tiger Woods nicht. Bald lauteten Dalys Stichworte allerdings anders: Spiel- und Fresssucht, Suff, cholerische Ausraster auch auf dem Platz, Depressionen, Millionenschulden, drei Scheidungen, demolierte Hotelzimmer. Alles an Daly ist exzessiv.

Zwischendurch, wenn John Daly zwischen den vielen Entziehungskuren, missglückten Selbsttötungsversuchen und Therapien gerade ein Stück seelisches Gleichgewicht gefunden hatte, gab er große sportliche Vorstellungen. 1995 gewann er, die Marlboro nur zum Schlagen aus dem Mundwinkel gelegt, sensationell die British Open. 1991 hatte er bei den US PGA Championships noch mehr Schlagzeilen gemacht: Als neunter Ersatzmann war der völlig unbekannte fette Jungspund tags zuvor angerufen worden, er sauste 600 Meilen in seinem Privatwagen durch die Nacht, kam kurz vor dem ersten Abschlag an – und hatte nach vier Tagen das Turnier gewonnen.

Daly, der Chaot. Das populäre Monster. „The Lion“ wie er sich selbst nennt. Der die armen Bälle prügelt, als wollte er sie bestrafen für all das Elend seines Lebens, dazu mit einem dermaßen überdrehten, exzessiven Schwung, der Orthopäden an ihrem Wissen zweifeln lässt. Dalys Schläge sind wie Explosionen. Und alles immer ruckzuck ohne langen Firlefanz wie Konzentration. Schnapp dir den Schläger, so sein Motto, und hau drauf. Passenderweise heißt Dalys Homepage gripitandripit.com. Jetzt ist Long John Daly zu einer ganz neuen Rolle angetreten. „John Daly“, sagt Golfturnier-Organisator Erwin Langer (der Bruder von Bernhard), „kann ein ganz wichtiger Botschafter seines Landes sein, weil er dem Aufruf seines Präsidenten folgt.“ Der habe schließlich gesagt: Geht wieder zur Normalität über. „Und Daly tut es persönlich als Erster.“ Als einziger US-Amerikaner wird er ab heute die German Masters auf Gut Lärchenhof in Pulheim bei Köln spielen.

Kaum ein US-Sportler hat nach dem 11. September sein Land verlassen, kein Golfer, kein Tennisspieler. „Die Amerikaner igeln sich seit dem Terroranschlag richtig ein“, weiß Erwin Langer. Keiner rührt sich in Shock’s own Country, apathisch und tatenlos auch die Leibesübler. Absagen überall. Sie haben Angst vorm Fliegen und Angst, als Zielscheibe aufzutauchen. Der Ryder Cup der Golfer wurde komplett abgesagt.

Und jetzt ausgerechnet John Daly als neuer Pionier, der zeitweilig Antidepressiva nahm wie andere Aspirin. Dem man lange die Rolle als Bösewicht selbst in einem B-Movie nur mit Mühe abnehmen würde: zu übertrieben, klischeehaft, eklig. Eher war er über Jahre die Karikatur eines Fieslings: Die fisseligen langen Haare, giftblond, immer vorne kurz, hinten lang, das feiste gerötete Gesicht, Prolobrille, Goldkettchen armdick und rundherum unförmig verfettet – mehr eine Prototype für einen Film von Detlef Buck.

Ein bisschen ist Dalys Deutschlandbesuch auch der Triumph von Organisator Langer: „Daly“, sagte er letzte Woche, „hat uns seit Tagen stundenlang beschäftigt.“ Immer wieder habe er mit Dalys Management telefoniert, überredend, argumentierend. Keine Chance hatte er etwa bei Tom Lehman, einer der anderen großen US-Golfer. „Wir haben einen Vertrag mit ihm“, aber Lehman habe gesagt, „er sei nicht in der Lage, sich die nächsten Monate außerhalb Amerikas zu bewegen“.

John Daly hält auch den Negativrekord der Profis mit 18 Schlägen für eine Bahn. 1999 war das, da wollte er unbedingt ein Wasserhindernis aus 240 Metern überwinden. Nach dem ersten knappen Fehlversuch hätte er den nächsten Schlag auch kurz vor dem See machen dürfen. Aber Daly ist immer bockig gewesen. Und versuchte es aus Entfernung, und wieder platsch – erst mit dem siebten Versuch hatte Daly Erfolg. Die Menschen damals in Florida haben getobt über so viel eselhafte Energie. Jetzt ist Daly trocken, heißt es. Manche kolportieren, er schütte nur noch gelegentlich sein Dosenbier ein. Sicher hat er an die 25 Kilo abgenommen, in den vergangenen zwölf Monaten einige passable Ergebnisse erzielt und ist auf dem Platz relaxt wie nie, freundlich, gutmütig, verbindlich, höflich, fast schüchtern. „Ich hatte immer das Talent und die Möglichkeiten“, hat Daly letztens gesagt, „aber ich habe nie daran geglaubt.“

Jetzt tut er es. Wovon sich die Zuschauer bei den German Open in München-Eichenried vor gut einem Monat überzeugen konnten. Da gewann Daly mit unglaublichen 27 unter Par. Sein erster Turniererfolg nach 151 Versuchen in sechs Jahren. „Der König des Dschungels“ sei zurück, schrieb eine US-Zeitung. Zurück aus dem Dschungel seines verkorksten Daseins, wo er „immer den Sonnenaufgang verschwendet hat und den Sonnenuntergang verpasst“.

In Pulheim haben sie jetzt für die Driving Range nach 280 Metern extra einen Fangzaun aufgespannt, ein Netz Dalyensis. Der Platz, hieß es, sei zu leicht, zuletzt wurden fünf Bahnen verlängert. Aber immer noch muss sich Clubchef Bernd Klasmeyer rechtfertigen: „Wenn Wind aufkommt, wird auch Daly seine Probleme kriegen.“ Allerdings: Auch wenn der „30 unter Par spielt, stört mich das nicht.“ Erwin Langer freut sich: „Wenn Daly den Driver rausholt, macht er Sachen, die sonst keiner kann.“