Recht auf Ruhe

Nachtfluglärm nahe Flughafen Heathrow verstößt gegen Menschenrechte, urteilt europäisches Gericht

BERLIN taz ■ Regelmäßig wacht Jeffray Thomas morgens um 4.30 Uhr auf. Kurz nacheinander düsen vier Flugzeuge über sein Haus in Kew, nahe dem größten europäischen Flughafen London-Heathrow. Thomas empfindet den Lärm als so nervtötend, dass er nur noch schwer zurück in den Schlaf findet: Ein Flug alle 30 Minuten reicht, um ihn dauerhaft um den Schlaf zu bringen. Ruth Hatton aus dem benachbarten East Sheen treibt der Lärm gar in Depressionen. Thomas, Hatton und sechs weitere Anwohner reichen schließlich im Mai 1997 Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ein. Der gibt ihnen nun Recht.

1993 hatte das britische Verkehrsministerium eine Lärmquotenregel eingeführt. In der Folge wurde es nachts erheblich lauter. Der Europäische Gerichtshof urteilte nun, dass die britische Regierung nichts unternommen habe, um zu prüfen, welche Gesundheitsschäden zu erwarten seien. Vor allem sei das Problem des gestörten Schlafrhythmus nicht untersucht worden. Dagegen seien die ökonomischen Vorteile des Nachtfluges nicht klar beziffert worden. Somit sei gegen das Menschenrecht auf „Achtung des Privat- und Familienlebens“ sowie „der Wohnung“ verstoßen worden. Dies könne zwar eingeschränkt werden, wenn es „zum wirtschaftlichen Wohl des Landes notwendig“ sei. Doch das sei nicht nachgewiesen worden.

Damit legt der Gerichtshof zum dritten Mal den Artikel 8 der Menschenrechtskonvention im Sinne des Umweltschutzes aus. Die britische Regierung muss nun Abhilfe schaffen und den Klägern je 4.000 Pfund (12.400 Mark) Schmerzensgeld zahlen. Da das Land die Menschenrechtskonvention ratifiziert hat, muss es die Urteile des Gerichtshofes umsetzen.

Die Auswirkungen auf Deutschland dürften eher gering sein. Schließlich hat das Verfassungsgericht bereits darauf hingewiesen, das die Bürger ein Recht auf Schutz vor Fluglärm haben. Viel interessanter ist ein formaler Aspekt des Urteils: Die Straßburger Richter verlangen eine genau Abwägung der ökonomischen Nutzen mit den gesundheitlichen Kosten. Eine solche Betrachtung ist hierzulande bislang eher unüblich. URB