Schlag gegen die Armen

Nach den Attentaten in den USA droht der Wirtschaft von Entwicklungsländern ein Rückschlag

von NICK REIMER

„Wir haben das Ausmaß der menschlichen Katastrophe in den USA gesehen, aber es gibt eine weitere menschliche Katastrophe, die weitgehend unbemerkt bleibt.“ Das erklärte Weltbank-Präsident James Wolfensohn zur Veröffentlichung einer Studie der Banj, die die Auswirkungen der Anschläge auf die Weltwirtschaft untersucht. Ergebnis: Die armen Länder werden verheerende Folgen spüren.

Fallende Rohstoffpreise, die Abkühlung des Wirtschaftswachstums, ausbleibender Tourismus – bis zu zehn Millionen Menschen mehr als prognostiziert werden im kommenden Jahr unter der Armutsgrenze von 1 Dollar pro Tag leben müssen, davon allein in Afrika zwei Millionen. Nach Einschätzung der Weltbank kosten die Anschläge im kommenden Jahr 40.000 Kinder unter fünf Jahren das Leben – ihre Eltern werden sie nicht mehr versorgen können. Besonders betroffen sind Länder, die stark vom Tourismus abhängig sind – etwa in der Karibik. Nach Weltbank-Angaben sind 65 Prozent aller Urlaubsbuchungen dorthin storniert worden.

Vor den Anschlägen rechnete die Weltbank mit einem Wirtschaftswachstum der Entwicklungsländer von 4,3 Prozent im nächsten Jahr. Die Studie senkt dies nun um zwischen 0,5 und 0,75 Prozentpunkte. Die Korrektur begründet die Weltbank mit zwei Faktoren: Höhere Versicherungs- und Transportkosten sowie langwierigere Zollabfertigungen machen die Warenströme teurer. Und wegen der weltweiten Konjunkturabkühlung bricht die Rohstoffnachfrage ein. Bis zu den Attentaten bilanzierten die Weltbanker einen Preisverfall von 7,4 Prozent – jetzt zeichne sich ein höherer ab.

Der von der International Coffee Organization (ICO) ermittelte Durchschnittspreis betrug im September 41 Cent pro Pfund – ein Drittel weniger als vor Jahresfrist. An der Londoner Metallbörse LME lag Aluminium am vergangenen Montag mit 1.324 Dollar je Tonne, Kupfer mit einem Tonnenpreis von 1.420 Dollar auf dem tiefsten Stand seit Sommer 1998. „Wegen der augenblicklichen Unsicherheit besteht ein Widerstand, Geschäfte in der Zukunft abzuschließen“, schreibt die Londoner Standard Bank in ihrer jüngsten Marktanalyse.

Da Investoren sich in sichere Häfen zurückziehen werden, sinkt der sowieso schon schwache Kapitalstrom in die Entwicklungsländer. Die Studie prognostiziert, dass die privaten Investitionen in diesem Jahr von kalkulierten 240 Milliarden auf 160 Milliarden Dollar fallen. „Den Welthandel aufrechtzuerhalten ist wichtiger als je zuvor“, drängt Weltbank-Chefökonom Nicholas Stern. Die reichen Länder sollten die Entwicklungshilfe erhöhen und Handelsschranken – etwa die EU-Einfuhrzölle auf Lebensmittel – abbauen. Die Weltbank will betroffenen Ländern mit Krediten helfen. MIT DPA

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