in fußballland
: CHRISTOPH BIERMANN über falsche Tassen

Platz für Notizen

Am nächsten Morgen habe ich mich dann auch noch über die verdammte Tasse geärgert, weil auf ihr alles falsch ist. Das Vereinsemblem des VfL Bochum, das ungefähr die Form eines Dreiecks mit gebogenen Seiten hat, ist dort in einen Kreis gezwungen. Noch absurder ist, dass rechts und links daneben die Meisterschale und der DFB-Pokal abgebildet sind, obwohl der VfL Bochum nun wirklich nichts davon gewonnen hat. Das wirkt wie der „Platz für Notizen“, der hinten in Taschenkalendern vorgesehen ist; nur bin ich mir ziemlich sicher, dass ich Zeit meines Lebens auf der Tasse nichts Entsprechendes mehr zu notieren habe werde. Auf der anderen Seite kann sie natürlich nichts dafür, dass ich schlechte Laune hatte. Und noch schlechtere Laune bekam, weil ich schlechte Laune hatte und mir die Frage stellte, wann damit endlich Schluss ist.

Neulich habe ich einen schlauen Beitrag in einem dieser überhaupt ziemlich schlauen Bücher aus dem Fach Cultural Studies gelesen, der sich mit Fußball beschäftigte. Darin wurde der Unterschied zwischen Fans bestimmt, die mit althergebrachter Anhänglichkeit ihr Befinden an das ihres Vereins ketten, und jenem neuen Publikum, das sich aus dem großen Angebot zumeist im Fernsehen die interessantesten Mannschaften heraussucht. Die ersten wurden hot, letztere cool genannt, und ich fragte mich, ob ich denn nun heiß oder kalt wäre. Zwar bin ich mit Sicherheit eher Stadionbesucher als Fernsehgucker, aber einige meiner Freunde würden mich trotzdem umstandslos als eiskalt einordnen, weil ich nicht mehr Schalke hasse und es sogar wage, den Klub höchst interessant und einige der Spieler richtig nett zu finden. Andere wiederum sehen mich als Propheten von Bayer Leverkusen, weil ich es zu blöd finde, die als „Retortenklub“ zu beschimpfen. Außerdem sage ich ständig, dass ich schönen Fußball sehen will und mich aufopferungsvolles Gewühle nur noch selten zufrieden stellt. Was natürlich bestens ins Schema der kühlen Konsumenten von Fußballunterhaltung passt.

Als ich in der letzten Saison froh war, mal nicht aus dem Ruhrstadion in Bochum berichten und so alle Stationen des trostlosesten der vier Abstiege aus der Bundesliga miterleben zu müssen, habe ich selbst gedacht, dass ich endlich zu den Coolen gehöre. Eine Idee, die mir sogar ganz gut gefiel, weil einem heutzutage jeder Trottel aufdrängt, was für ein toll leidender Fan er ist.

Wie man sich irren kann! Inzwischen entwickle ich nach schlechten Spielen wieder so herzhaft schlechte Laune, dass mir besser niemand in die Quere kommt – und Gelegenheit gibt es dazu genug. Der VfL Bochum spielt gerade mal wieder in der zweiten Liga und möchte zum vierten Mal in Folge nach einem Abstieg sofort wieder aufsteigen. Ein Plan, der meine völlige Billigung hat, an dessen erfolgreicher Umsetzung ich aber mindestens so große Zweifel hege. Nicht erst, aber mit Sicherheit seit letztem Freitag.

Da stand ich in einer Kölner Kneipe, wo man mit den Problemen des VfL Bochum auf ziemlich eingeschränktes Verständnis stößt, und versuchte durch das Leeren von vielen kleinen Kölschgläsern die Erinnerung an die Bilder zu verwischen, die ich kurz zuvor von der 0:3-Niederlage in Reutlingen (also nichts gegen Reutlingen, aber bitte ...) im Fernsehen gesehen hatte und stellte mir immer wieder die Frage: KÖNNEN WIR NICHT VIELLEICHT MAL MIT EINER ABWEHR ANTRETEN? ODER IST DAS ETWA ZU VIEL VERLANGT? Vor zwei Jahren hat es zwar trotz wackligster Defensive noch einigermaßen mit dem Aufstieg in die Bundesliga hingehauen, aber im letzten Jahr war der VfL Bochum nur noch als reisender Therapiedienst für aufbauwürdige Bundesligastürmer unterwegs. Kann man daraus nicht lernen? ODER SOLL DAS EINE TRADITION WERDEN? Eine weitere Analyse der Bochumer Nicht-Verteidigung soll hier aus rechtlichen Gründen (Beleidigungsklage) unterbleiben.

Als die Zahl der Bleistiftstriche auf dem Bierdeckel immer größer wurde, ist mir auch noch klar geworden, dass ich mir den Mist nun schon seit 27 Jahren angucke, was ich zur finalen Demoralisierung in „länger als ein Vierteljahrhundert“ übersetzte. Und obwohl ich Schalke nicht mehr hasse, werde ich wahrscheinlich trotzdem in keiner Cultural Study als cool durchgehen. Aber wie sollte ich auch? Als Anhänger eines Vereins, von dem es nicht mal eine vernünftige Tasse gibt.

Fotohinweis:Christoph Biermann, 40, liebt Fußball und schreibt darüber