Der Kanzler mauert

Abgeordnete wollen von der Bundesregierung wissen, was die Nato gegen Bin Laden in der Hand hat

aus Berlin PATRIK SCHWARZ

Beim Bundespresseamt hieß die Parole gestern: Schweigen. Zwei Tage sind vergangen, seit die USA im Nato-Rat ihre Beweise für die Urheberschaft Ussama Bin Ladens an den Anschlägen vom 11. September vorlegten. Mit deutscher Zustimmung aktivierte die Allianz daraufhin den Bündnisfall. Doch auf welcher Grundlage die Bundesregierung entschied, blieb der deutschen Öffentlichkeit bisher vorenthalten. Gegenüber der taz forderten jetzt Mitglieder des Verteidigungsausschusses von Grünen, SPD und PDS Auskunft von der Regierung.

„Ich kann und darf Ihnen das nicht sagen“, beschied die stellvertretende Regierungssprecherin Charima Reinhardt noch gestern Anfragen zu dem Inhalt des US-Materials. „Es ist Vertraulichkeit in der Nato vereinbart worden“, hieß es im Presseamt. Und: „Da hat bisher auch keiner geplaudert.“ Irrtum. Während die Mitarbeiter von Kanzler Gerhard Schröder noch mauerten, hatte der britische Premierminister Tony Blair in einer Rede vor dem Unterhaus bereits seinen Kenntnisstand dargelegt. Den Abgeordneten kündigte er gestern sogar an, Unterlagen mit Details über die Grundlage seiner Zustimmung zum Bündnisfall in die Parlamentsbibliothek zu stellen (siehe Dokumenation).

Der Bundeskanzler wollte gestern abend zwar die Partei- und Fraktionsvorsitzenden über den aktuellen Stand der Nato-Planungen informieren. Das Thema „Beweislast gegen Bin Laden“ stand aber nach Auskunft des Presseamtes nicht auf der Tagesordnung. „Vielleicht entlocken die Fraktionschefs ihm ja was“, spekulierte ein Insider.

Darauf wollen sich selbst Koalitionsvertreter im Verteidigungsausschuss des Bundestages nicht verlassen. Die Beweislast „muss nachvollziehbar, auch überprüfbar sein“, sagt der grüne Verteidigungspolitiker Winfried Nachtwei. „Das Verteidigungsministerium ist uns gegenüber in der Informationspflicht.“ Auch der SPD-Wehrexperte Peter Zumkley will wissen, „was die USA vorgelegt haben und, wenn möglich, auch den Inhalt“. Die PDS-Obfrau Heidi Lippmann möchte dafür Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping vor den Ausschuss zitieren: „Meine Mitarbeiterin schreibt deshalb gerade einen Brief an den Ausschussvorsitzenden.“

Der Grüne Nachtwei formuliert zwei Kriterien für die Belastbarkeit des Beweismaterials gegen Bin Laden. „Daraus muss für uns der begründete Tatverdacht zu ersehen sein.“ Außerdem „muss der Verdacht ausgeschlossen sein, dass der Gegner nur politisch definiert wird“. PDS-Obfrau Lippmann vermutet hier Mängel: „Man hat ausschließlich in die Richtung Bin Laden ermittelt, und das ist schon eine sehr eingeschränkte Recherche gewesen.“ SPD-Wehrexperte Zumkley dagegen hält Manipulationsvorwürfe gegenüber den USA für Unsinn. „So was kommt ja raus, wenn die da irgendwas tricksen“, meint er. Dann, so Zumkley, wäre die Mühe um eine Koalition mit den moderaten islamischen Staaten verloren.

Damit der Ausschuss zu einem eigenständigen Urteil kommen kann, fordert Nachtwei, müsse das Material der USA „in der Form, in der es im Nato-Rat vorgelegt wurde“, präsentiert werden. Die Forderung hat ihre Tücken. Denn bis gestern gab es widersprüchliche Abgaben darüber, ob der US-Anti-Terror-Beauftragte Frank Taylor in der vertraulichen Sitzung des Nato-Rats nur mündlich vorgetragen oder auch schriftliche Beweise vorgelegt hatte. Der Politische Direktor des Auswärtigen Amtes, Klaus Scharioth, wurde zwar vom zweiten Mann in der Berliner US-Botschaft bereits vorab informiert. Er durfte Dokumente aber nur einsehen und nicht mitnehmen.

Hintergrund der zögerlichen Informationspolitik ist ein Konflikt innerhalb der US-Regierung selbst. Außenminister Colin Powell hatte vor zehn Tagen vollmundig angekündigt, „wir werden ein Papier, ein Dokument vorlegen können“, das Bin Ladens Schuld beweise. Der Präsident persönlich pfiff Powell zurück. Der Schutz der Geheimdienstquellen wog schwerer als die Hoffnung, durch Offenheit die Anti-Terror-Allianz zu stärken.