Anti-Terrorismus-Konvention nicht in Sicht

Die UNO-Generalversammlung ist sich einig über die Verurteilung des Terrorismus. Nicht einig ist sie sich darüber, was Terrorismus ist

NEW YORK taz ■ Trotz der jeweils einstimmig verabschiedeten Resolutionen, mit denen der UNO-Sicherheitsrat und die Generalversammlung auf die Terroranschläge vom 11. September reagiert haben, sind die 189 Mitgliedsstaaten der Weltorganisation noch weit entfernt von einer gemeinsamen Terrorismusdefinition. Bei der noch bis heute Abend dauernden Sondersitzung der Generalversammlung zur Terrorismusbekämpfung wurde deutlich, dass es wegen Differenzen in der Definitionsfrage vorläufig nicht zur Vereinbarung einer völkerrechtlich bindenden Anti-Terrorismus-Konvention kommen wird. Dabei ist deren Entwurf bereits zu 90 Prozent ausgehandelt.

Auch der Vorschlag, das bislang auf „Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ beschränkte Statut des im Aufbau befindlichen Internationalen Strafgerichtshofes (ISH) um das Delikt „Terrorismus“ zu erweitern, hat damit zunächst keine Chance.

Der Definitionsstreit dreht sich um zwei Fragen: Sollen nur Akte einzelner Personen, Gruppen oder Organisationen als „Terrorismus“ eingestuft werden oder auch Handlungen von Staaten, vertreten durch ihre Regierungen? Und wie lassen sich verbrecherische Anschläge von „Terroristen“ unterscheiden von „legitimer Gewaltanwendung“ durch „Freiheitskämpfer“?

Eine große Staatenmehrheit will die Terrorismusdefinition auf Einzelpersonen und Gruppen/Organisationen beschränken. Nur wenige Länder, die sich selbst als Opfer von Staatsterrorismus sehen, plädieren für die umfassendere Definiton. Dazu gehören Kuba, Irak sowie das mit Beobacherstatus bei der UNO vertretene Palästina (wegen des Vorgehens israelischer Armeeund Polizei). Doch auch die von der ehemaligen Befreiungsbewegung Afrikanischer Nationalkongress (ANC) gestellte Regierung Südafrikas hat nicht vergessen, dass das frühere Apartheidregime ANC-Aktivisten mit Briefbomben und anderen terroristischen Massnahmen bekämpfte.

Quer durch alle politischen Lager und regionalen Gruppen der UNO-Generalversammlung verlaufen die Kontroversen beim Thema Freiheitskämpfer/Terroristen. Der ehemalige Präsident des ANC und Südafrikas, Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela, ist ein in aller Welt geachteter Freiheitskämpfer – trotz der Gewaltanwendung des ANC im Kampf gegen das Apartheidregime. Bei PLO-Chef Jassir Arafat , der vor 30 Jahren – so wie heute Ussama Bin Laden – zumindest in der westlichen Welt als Terrorist galt, scheiden sich die Geister.

Wie schnell sich Bewertungen verschieben können, zeigt die Entwicklung seit dem 11. September. Im Zuge des von der US-Regierung betriebenen Aufbaus einer neuen „internationalen Allianz gegen den Terrorismus“ erhielten zum Beispiel Russland, China und Indonesien von den USA und anderen westlichen Demokratien grünes Licht, Freiheitskämpfer, Sezessionisten oder islamistische Oppositionelle ohne Rücksicht auf lästige Menschenrechtsnormen als „Terroristen“ zu bekämpfen.

Doch auch die beiden engsten Verbündeten in der neuen Anti-Terrorallianz – die USA und Großbritannien – können sich nicht auf eine Bewertung der nordirischen Untergrundorganisation IRA einigen. Indien schlug der UNO-Generalversammlung vor, „konkrete Handlungen (wie Flugzeugentführungen, Bombenanschläge etc.) aufzulisten, statt sich um eine abstrakte Terrorismusdefinition zu bemühen“. Die Vorarbeiten dafür hat die Staatengemeinschaft bereits in den vergangenen 40 Jahren geleistet. Seit 1963 vereinbarten die UNO-Generalversammlung sowie die drei Internationalen Organisationen für die Zivilluftfahrt (ICAO), den Seeverkehr (IMO) und die Atomenergie (IAEO) insgesamt zwölf Konventionen gegen spezifische Formen nichtstaatlicher Gewaltakte wie Flugzeugentführungen, Geiselnahme oder die Verwendung von Plastiksprengstoffen. In all diesen Konventionen werden die Begriffe „Terrorismus“ und „terroristische Akte“ oder „Terrororganisationen“ verwendet – jeweils ohne Definition.

Auslöser für die Konventionen waren konkrete Vorgänge wie zum Beispiel Flugentführungen durch die PLO in den 60er- und 70er-Jahren. Doch die Dimension des Terrors vom 11. September erfassen die bisherigen Konventionen nicht. Denn sie beruhen darauf, dass die Taten wegen öffentlich erklärter Ziele verübt werden (politische Forderungen, Freipressung inhaftierter Gesinnungsgenossen etc.) und dass die unmittelbaren Täter zur Verantwortung gezogen werden können. Beides war am 11. September nicht der Fall.

ANDREAS ZUMACH