Mehr als nur Amüsiermeile

Im St.Pauli-Archiv findet sich ein Sammelsurium von Informationen und Kuriositäten rund um das Viertel  ■ Von Christina Pohl

Die drei Astra-Flaschen im Regal gehören zum Inventar. Nicht zum Vergnügen der MitarbeiterInnen des St. Pauli-Archivs stehen sie da, sondern um die Geschichte des Viertels zu dokumentieren. Denn in der Geschichtswerkstatt werden vom Bierflaschenetikett über Fotos, Plakate und Presseartikel bis hin zu Examensarbeiten und Büchern diverse Publikationen gesammelt, die St. Pauli betreffen.

„Der Name St. Pauli ist allen ein Begriff, doch bei den meisten reduziert sich die Kenntnis auf Reeperbahn und Herbertstraße“, glaubt Archivmitarbeiterin und Historikerin Gunhild Ohl-Hinz. Deshalb hat sich das St. Pauli-Archiv der Aufwertung des Stadtteils verschrieben, um ein über die gängigen Klischees hinausreichenderes Bild zu vermitteln. „St. Pauli beschränkt sich schließlich nicht nur auf die Vergnügungs- und Konsummeilen“, sagt auch Vorstandsmitglied Martin Spruijt, der seit zehn Jahren Viertelrundgänge anbietet. Vielmehr sei St. Pauli ein geschlossener Stadtteil, fast dörflich, in dem jeder jeden kennt. Spruijt muss es wissen,lebt er doch bereits seit 1984 in dem 30.000-Einwohner-Viertel, das im frühen 19. Jahrhundert, als brave Bürgersfamilien ihren sonntäglichen Ausflugsgelüsten auf Spielbudenplatz oder Reeperbahn frönten, St. Lustig genannt wurde.

Begonnen hat alles vor zwölf Jahren. Im Laufe der Zeit ist das Archiv zu einem urigen Kleinod, einer wahren Schatzkammer für Material rund um St. Pauli gewachsen. „Unsere Besucher sind überwiegend Studenten, die Informationen zu Geschichte, Stadtplanung oder Architektur in St. Pauli suchen. Es kommen aber auch viele Einwohner: Solche, die neu zugezogen sind, genauso wie jene, die früher einmal hier gewohnt haben“, erzählt Spruijt. „Die Resonanz ist sehr gut“, pflichtet Ohl-Hinz ihm bei. Viele schätzten die Unkompliziertheit des Archivs: Alles sei einfach zugänglich, greifbar, überschaubar. Eine unschätzbare Informationsquelle, die von vielen noch nicht angezapft würde. Zum Beispiel lässt sich da nachlesen, dass die Gegend um die Schmuckstraße bis 1944 die Chinatown Hamburgs war. Oder dass hinter dem Grünstreifen zwischen Talstraße und Großer Freiheit die ehemalige Staatsgrenze zwischen Hamburg und Dänemark verlief. Und nicht zuletzt geben Artikel und Bücher aus den letzten Jahren Einblicke in Ereignisse, Strukturen und Probleme des berühmt-berüchtigten Stadtteils.

Die Arbeit des Archivs beschränkt sich aber nicht nur auf die rein dokumentarischen, verstaubt klingenden Pflichten des Sichtens, Sonderns und Sammelns, sondern vor allem auch auf den Erfahrungsaustausch. „Die Leute sollen sich hier ihrer eigenen Geschichte bewusst werden“, so Spruijt, „So merken sie, dass ihre persönlichen Erfahrungen in und mit dem Stadtteil St. Pauli erzählenswert und für andere relevant und interessant sind.“

Auch die Schmährufe als „Barfuß-Historiker“, der den Geschichtswerklern mangelnde Wissenschaftlichkeit vorwarfen, sind inzwischen verebbt. Zu Recht: Schließlich sind fast alle Mitglieder des St.Pauli-Archivs, das von der Kulturbehörde der Stadt getragen wird, studierte Historiker.

Das Archiv in der Wohlwillstraße 28 ist montags von 17 bis 19 Uhr geöffnet. Termine sind nach Vereinbarung unter Tel.: 3194772 möglich.