Ein Vertreter der Arbeiterklasse

Ortwin Runde hatte als Bürgermeister stets das, was man ein Vermittlungsproblem nennt. Er konnte integrieren, aber bis zuletzt nicht repräsentieren. Ein Portrait  ■ Von Peter Ahrens

Wer ihn nicht kennt und ihn als ersten Eindruck reden hört, muss die Hände über dem Kopf zusammen schlagen. Ortwin Runde hatte stets ein Problem, und das wusste der noch amtierende Erste Bürgermeister auch. In die Welt der Marketing-Strategen, der Schau- und Möllemänner, der geföhnten Köpfe passte er nie hinein. Zuweilen glaubt man, das Wort „dröge“ sei eigens für ihn erfunden worden, wenn er, in einem eher schlecht sitzenden Anzug steckend, ein Redemanuskript wortwörtlich ablas, ohne auch nur ein Jota vom vorgegebenen Text abzuweichen.

Runde und seine Partei, die SPD, haben das früh erkannt und versucht, aus dem vermeintlichen Image-Nachteil ihres Spitzenmannes eine Tugend zu machen. Der fleißiger Arbeiter, der Volkstümliche, der solide Rechner – das war das Bild, das Runde nach außen vermitteln sollte. Dass er nicht strahlen, nicht glänzen kann, war ihm bewusst.

Die CDU hat das über die Jahre immer wieder als Argument gegen Runde ins Spiel gebracht. Ein CDU-Bürgerschaftsabgeordneter höhnte einmal, Runde sei nicht in der Lage, einen Satz ordnungsgemäß auszusprechen. Dem Ansehen des gebürtigen Westpreußen, der in Ostfriesland aufwuchs, hat das jedoch nicht grundlegend geschadet. Bei den Sympathiewerten der Meinungsumfragen lag er stets vor CDU-Konkurrent Ole von Beust.

Runde hatte sich dies seit seinem Amtsantritt 1997 erst erarbeiten müssen. Als er die Nachfolge von Henning Voscherau antrat, war sein Bekanntheitsgrad auch bei den HamburgerInnen nur mäßig. Und das, obwohl er in den 80ern schon mal Parteichef der Landes-SPD war und seit 1988 dem Senat angehörte: Erst als Präses der Sozialbehörde, danach als Chef der Finanzverwaltung. Schlagzeilen hat er damals allerdings höchstens dadurch gemacht, dass während seiner Zeit als Sozialsenator der berüchtigte Hamburger SPD-Filz in der Behörde fröhliche Urständ feiern durfte – ein Gestrüpp aus Begünstigung und Parteibuchwirtschaft, über das Rundes Nachfolgerin auf dem Senatorenstuhl, Helgrit Fischer-Mentzel, Jahre später stolperte und das einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss PUA über Monate beschäftigte. Da war Runde längst Bürgermeister, und von daher nimmt es nicht Wunder, dass die SPD-Vertreter im PUA alles versuchten, Rundes Rolle im Sozialbehörden-Filz so klein als möglich darzustellen.

Ortwin Runde hat das relativ unbeschadet überstanden. Geholfen hatte ihm dabei zweifellos der geräuschlose Umgang im Senat. Der grüne Koalitionspartner hat in den vier Regierungsjahren kaum gegen die übermächtige SPD aufgemuckt, und wenn doch, gelang es dem Bürgermeister, mit seiner integrierenden Art Konflikte aus dem Weg zu räumen, bevor sie zu Koalitionskrächen auswachsen konnten. Er galt zwar als politischer Fuchs mit Hang zu Alleingängen was personalpolitische Entscheidungen anbetraf, doch im Senat pflegte er das Image des Teamplayers.

Auf diese Weise hat er die Grünen dazu gebracht, der Dasa-Erweiterung in Finkenwerder zuzustimmen – und damit auch der Zerstörung des Mühlenberger Lochs. In weiten Teilen der Öffentlichkeit erschien das als einer der größten Erfolge der Rundeschen Regierungszeit – wenn auch das Versprechen, mit der Endmontage des A 380 würden in Hamburg 4000 neue Arbeitsplätze entstehen, inzwischen niemand mehr glaubt. Daneben konnte Runde, wenn er nach den Leistungen seiner Bürgermeisterzeit befragt wurde, vor allem auf sein hartnäckiges Verhandeln beim Länderfinanzausgleich hinweisen. Dort hat er genau das ausspielen können, wofür die SPD ihren ersten Mann brauchte: Er hat sich in den komplizierten Stoff eingearbeitet, monatelang Rechenexempel durchgespielt und durch exzellente Kenntnis der Materie letztlich ein für Hamburg gutes Resultat herausgeholt.

Wie beim Regieren war Runde auch im persönlichen Kontakt. Höflich, freundlich auch gegenüber der Presse, manchmal verschmitzt, mit einem Humor, über den allerdings vorrangig er selbst lachen konnte, selten erlebte man ihn unwirsch, noch seltener laut. Davor, von ihm in den Arm genommen zu werden, war man nirgends richtig sicher. Ein angenehmer Vertreter der Spezies Politiker – besonders wenn man ihn mit seinem Vorgänger vergleicht.

Drei Jahre hat Ortwin Runde es mit dieser Art verstanden, Politik zu machen. In den vergangenen Monaten lief ihm das Regierungsgeschäft dann jedoch zunehmend aus dem Ruder – nachdem ihn der starke Mann an seiner Seite, SPD-Landesvorsitzender Olaf Scholz, zu Beginn des Wahlkampfes gedrängt hatte, das Thema Innere Sicherheit niedrig zu hängen und stattdessen die Wirtschaftskompetenz der SPD in den Vordergrund zu stellen. Mit dem bekannten Resultat.

Runde hat in diesen Wochen vor der Wahl, als die Springer-Presse den Senat vor sich hergetrieben hat, keine gute Figur abgegeben. Sein teamorientierter Führungsstil erwies sich plötzlich als Handlungsschwäche, das Krisenmanagement funktionierte nicht, dazu kam eine Selbstzufriedenheit, die sich nach dem Airbus-Deal eingeschlichen hatte und die den Fall einer möglichen Wahlniederlage gar nicht erst in Betracht zog.

Von daher galt der große Beifall, den der 57-Jährige noch vor einer Woche beim Parteitag in Wilhelmsburg von den GenossInnen erhielt, eher der persönlichen Integrität des Bürgermeisters und war weniger Rückendeckung für seine politische Zukunft. In der SPD hat es in dieser Woche immer mehr Leuten, die wieder Zeit hatten, klar zu denken, eingeleuchtet: Einen politischen Neuanfang kann nicht derjenige leisten, der seit 13 Jahren einem zuletzt verbraucht wirkenden Senat angehört hat. Einer wie Ortwin Runde passt nicht mehr ins Bild.