Eine Injektion für die Oper

Die Oldenburger Oper spielt György Ligetis „Grand Macabre“ als pralles Theater

Kann zeitgenössische Oper lustig, unterhaltsam und trotzdem tiefgründig sein? Ja! In Oldenburg, wo man am Staatstheater sowieso in Sachen zeitgenössischer Musik äußerst rührig ist, steht György Ligetis „Le Grand Macabre“ auf dem Spielplan. „Ich möchte etwas Unerhörtes und rätselhaft Dämonisch-Ironisches realisieren (...) Die Oper wird getötet, kriegt eine Injektion, erwacht nicht zum Leben, sondern nur zu einem Scheinleben“ hatte der ungarische Komponist vor seiner 1974-77 entstandenen Anti-Anti-Oper gesagt und füllt seine fiktiven Personen mit prallstem Leben: „Le Grand Macabre“ ist die am meisten gespielte Oper aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

„Endlich - eine neue Oper!“ hatte eine schwedische Tageszeitung am Tag nach der Uraufführung in Stockholm 1978 getitelt. Die Oldenburger Regisseurin Mascha Pörzgen siedelte das Stück, dessen Textvorlage das fantastische und bizarre Puppenspiel „La Ballade du Grand Macabre“ von Michel Ghelderode ist, da an, wo Ligeti es haben wollte: im „Fürstentum Breughelland, im sounsovielten Jahrhundert“. Der „Grand Macabre“ Nekrotzar, der den Weltuntergang ankündigt und ausführen will, was ihm aber nicht gelingt, weil er vom Hofastrologen und Piet vom Fass (Fritz Vitu und Fredrik de Jounge) besoffen gemacht wurde, trägt die Züge Adolf Hitlers (mit bedrohlicher Intensität: Bernard Lyon).

Mascha Pörzgen hält sich recht genau an das Libretto, was ihr zum Beispiel die Möglichkeit gibt, gerade für das Bild des korrupten Parlamentes um den armen Kindfürsten Go-Go (glänzend der Alt Gerson Sales‘), der vollkommen in den Händen seiner intriganten Minister Schwarz und Weiß ist, ein Panoptikum an tierhaften Fantasiegestalten zu bilden, die aus allen Öffnungen des Theaters nur so quellen. Allen voran der sich auch mit Hilfe von Inline-Skatern chamäleonartig verwandelnde Chef der Gepopo (der geheimen Politischen Polizei): eine Koloratur-Riesenpartie für Franziska Stürz, die in der dritten Aufführung leider krank warund deren Gesangspart glänzend von Mareille Lichti aus Heidelberg übernomen wurde. Am Ende siegt die Liebe, der einzige Sinn des Lebens: gesanglich schwärmerisch, aber inszenatorisch etwas platt Susanne Schubert-Hoffmann und Alexia Basile.

Dieses explosive Stück zwischen mittelalterlichem Totentanz, Mysterien und Kasperlespielen, Jahrmarkt- und Vorstadttheatern handelt vor allem von den „Ängsten des Menschen“, meint Mascha Pörzgen und findet dafür eine Fülle von klaren und unendlich fantasievollen Bildern. Interessant für den Besucher mag vor allem die Tatsache sein, dass Ligeti die Gattung Oper ebenso witzig wie klug reflektiert, man erkennt die Arie, das Duett, klassische und barocke Formen und vieles mehr: Alexander Rumpf und das Oldenburgische Staatsorchester machen das schon recht gut. Es ist bemerkenswert, wie dieses Orchester seit Jahren keine Mühe scheut, sich mit schwierigster neuer Musik auseinanderzusetzen. Allen SkeptikerInnen sei gesagt: dieser Abend macht einfach Spaß, er ist pralles Theater, unterstützt von dem etwas zu kargen (finanzielle Gründe?) Bühnenbild von Cordelia Matthes und den reizvollen Kostümen Cristoph Cremers.

Ute Schalz-Laurenze

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