Fühlbare Schmiegsamkeit

Formstrenge, Flauschigkeit: Zuerst hat sie Stoffe geschaffen, heute arbeitet sie mit ihrem Label an den Gesetzmäßigkeiten von Strick. Dass Berlin nicht gerade eine Modestadt ist, kommt ihr entgegen. Ein Porträt der Modemacherin Stephanie Schenck

von KATRIN KRUSE

Beinahe still ist es hier. Als ziehe sich die die Gipsstraße aus dem urbanen Geraschel von Berlin-Mitte zurück. Mitunter verirren sich Touristen, nie jedoch systematisch. Beobachten lässt sich hier viel, und dennoch bleibt, wer die Straße entlanggeht, seltsam ungesehen. Die Gipsstraße ist back stage.

Ein guter Ort, scheint es. Stephanie Schenck denkt das auch. Seit vier Jahren lebt und arbeitet sie in ihrem Ladenatelier: ein kleines Geschäft, ein großes Fenster, darin zwei Schneiderpuppen. Mode! steht auf ihren Visitenkarten, und dann ganz sachlich: knitwear. Diese Mischung aus Flash und Formstrenge findet sich auch in ihren Kollektionen wieder. Stephanie Schenck setzt Farbe und Form, Muster und Material so lange gegeneinander, bis eine Strickmode der anderen Art entsteht.

„Strick unterliegt anderen Gesetzmäßigkeiten als Stoff“, sagt sie. „Schnittechnisch sind andere Dinge möglich, das Material schmiegt sich anders an.“ Dann streicht sie sich über den Arm, über den weichen Mohairpullover ihrer neuen Kollektion: Ihre Sachen wirken nicht nur auf die Betrachter, sondern vor allem auf die Trägerin. Denn nichts wirft sie stärker auf ihren Körper zurück als ein Material, das dessen Oberfläche fühlbarer berührt als andere Materialien. Das mit der Schmiegsamkeit weiß niemand besser als die grosse Frau mit den dunklen Locken selbst: Denn Schenck ist immer dressed in Schenck.

Unten in ihrem Arbeitsraum, in den eine Wendelreppe vom Geschäft herunter führt, ist alles auf die neue Winterkollektion eingestimmt. In den Regalen die grossen Rollen mit dem Garn, an der Wand Zeichnungen der Modelle und aquarellierte Farbflächen: dunkelgrün und türkis, rot und lachs. Die neue Kollektion sei „eher graphisch“, sagt die Designerin. „Mich hat interessiert, verschiedene Farbflächen gegeneinanderzusetzen.“ Zugleich geht es ihr um die Kontraste im Kleidungsstück selbst. So hat etwa der Pullover, den sie selber trägt, eine sehr klare Struktur: zwei Farben, ein gefächertes Muster. Streng könnte das sein, wäre da nicht die Mohairwolle, deren Flauschigkeit die Form weicher zeichnet.

Stoffe schaffen, damit hat Stephanie Schenck angefangen. In Zürich hat sie Textildesign studiert und sich auf Strick spezialisiert. Über ein Praktikum ist sie nach Berlin gekommen. 1997 hat sie ihr eigenes Label gegründet und das Ladenatelier in der Gipsstrasse 9 eröffnet. Unten im Atelier mit den vier großen Strickmaschinen entwirft die Dreiunddreißigjährige ihre Kollektionen und fertigt die Prototypen. Immer wenn die Ladentür schellt, geht Stephanie Schenck die Treppe hinauf. Zu den Kundinnen.

Zu den Versuchen, der neuen Hauptstadt den Charakter einer Metropole zu attestieren, gehört seit geraumer Zeit auch die Rede von der „Modestadt Berlin“. Nein, eine Modestadt sei Berlin nicht, sagt Stephanie Schenck. „Es gibt es keine Modeindustrie, wie etwa in Mailand. Und Mode ist auch nicht ganz selbstverständlich ein Teil des Lebens.“ Dort ist Kleidung immer Mode, hier scheint sie ein Extra, das der Funktionalität von Kleidung übergestreift wird. Natürlich gebe es auch explizit modische Bereiche, Clubwear zum Beispiel. Dort aber gehe es eher um Labels und neue Trends, die Kopie eines Lebensgefühls aus London.

Daß die Strickmode anderen Gesetzlichkeiten unterliegt, kommt Stephanie Schencks Interesse an Mode also nur entgegen. „Natürlich bin ich beeinflusst durch das, was ich auf der Strasse sehe“, sagt sie. Dennoch sucht sie weniger nach Trends als nach einer Stimmung, die sie dann aufnimmt. Ob sie eine spezielle Frau im Kopf hat, wenn sie entwirft? „Meine Mode ist für individuelle Frauen“, sagt sie und muss lachen. Schliesslich ist das so ein Begriff. Als sie schließlich präziser wird, könnte sie auch über sich selbst sprechen: „Frauen die nicht dem Mainstream unterliegen, die gerne mixen.“

Stephanie Schenck, Gipsstraße 9, Berlin-Mitte. Tel.: 28 39 07 85. Geöffnet Dienstag bis Freitag 12–19 Uhr, Samstag 12–16 Uhr.