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Der Name im Trauring

Ein Gruppe von Hobby-Historikern der Geschichtswerkstatt Tiergarten erforscht Schicksale von in Kriegsgräbern Begrabenen – manchmal mit verblüffendem Erfolg

Bomber über Berlin. Schüsse hallen über das Trümmerfeld zwischen Lehrter Straße und Potsdamer Bahnhof, acht Menschen, unter ihnen der Dichter Albrecht Haushofer, brechen unter den Schüssen des Erschießungskommandos zusammen. Einer von ihnen jedoch überlebt, schwer verwundet von einem Kopfschuss, die regnerische Nacht vom 22. auf den 23. April 1945. Er schafft es, sich fortzuschleppen, und berichtet später dem Bruder Haushofers von der Hinrichtung.

Die in der Haft verfassten Gedichte des Lyrikers erscheinen kurze Zeit später im zerstörten und besetzten Berlin. Sie prägen als „Moabiter Sonette“ die Prosa im Nachkriegsdeutschland.

In der Wilsnacker Straße in Moabit, an der Mauer des Kriegsgräber-Friedhofes gegenüber dem jetzigen Strafgericht, erinnert heute eine Tafel an den konservativen Dichter. Doch: „Die Gedenktafel ist falsch“, erklärt der Geschichtswissenschaftler Ernst Haiger, „außer Haushofer war keiner der Erschossenen ein Widerständler.“ Das jedoch legt der Wortlaut nahe. Der Historiker muss es wissen, schließlich beschäftigt er sich schon seit Jahren mit dem Leben und Sterben der auf dem Friedhof begrabenen Kriegsopfer. Von ungefähr einem Drittel der 330 hier ruhenden Toten ist weder Name noch Herkunft bekannt. Das Schicksal von 35 von ihnen versucht Haiger mit einer Gruppe von rund 15 Hobby-Historikern der Geschichtswerkstatt zu erhellen.

Um sie wenigstens zu identifizieren, zieht Haiger vielerlei Quellenmaterial zu Rate. So durchforstet er etwa die von der damaligen Friedhofsverwaltung angelegten Listen, in denen Kleidung und Erscheinungsbild der Verblichenen notiert sind: „Frau, ca. 53 Jahre, weißroter Pullover, blauer Unterrock, Paletot und Pelzmantel“.

Auch mehr als 50 Jahre nach Kriegsende gelingen den Hobby-Historikern zuweilen verblüffende Erfolge beim Durchstöbern der alten Dokumente. In der Bestattungsliste notierte der damalige Pfarrer beispielsweise den Namen der Verlobten eines der Gefallenen. Dieser war in den Trauring des Toten eingraviert. Zudem verwies der Seelsorger auf die Friedhofsakten des Bezirksamtes. Dort findet sich der Name eines Unteroffiziers mit dem Vermerk: „Herr P. gibt weitere Auskunft.“

Den machte Haiger tatsächlich im aktuellen Berliner Telefonbuch ausfindig. Aber: „Er war kurz zuvor gestorben“, bedauert der Historiker. Doch seine Witwe konnte ihm sagen: „P. war der Sohn des Toten aus der Wilsnacker Straße.“ Und so erfuhr Haiger auch, dass die im Ring Verewigte noch lebte. Die alte Dame kam von weither angereist, um im Angesicht der Ruhestätte ihres früheren Verlobten zu gedenken.

Dass dies auch nach Jahrzehnten noch möglich ist, ergibt sich aus dem Status des Gottesackers als „Friedhof für die Opfer von Kriegs- und Gewaltherrschaft“. Die Gräber werden nicht eingeebnet, der Staat kommt für die Pflege des Ensembles auf. Rund 220 derartige Begräbnisstätten, auf denen ungefähr 150.000 Personen bestattet sind, gibt es in Berlin. Soweit möglich, soll der Bezirk zutreffende Angaben zu den Verstorbenen machen.

Hier leistet die Werkstatt eine wertvolle Zuarbeit, die sich auch auf erst kürzlich erfolgte Bestattungen beziehen kann. Ursprünglich war der Friedhof in der Wilsnacker Straße nur für Tote aus den letzten Kriegstagen vorgesehen. Doch nach dem Mauerfall wurden weitere Kriegsopfer hierher umgebettet. „Nach der Wiedervereinigung wurde vielfach gebaut, wo zuvor Brachland war“, erklärt Haiger. Dabei seien noch einige zuvor vergessene Tote entdeckt worden. Deren Schicksale hofft er etwa durch Handakten des Volksgerichtshofes zu klären.

Darin erfuhr Haiger, dass dem an der Wilsnacker Straße bestatten Jens W.* bereits zu Kriegsbeginn die Erschießung drohte. Die Anklage lautete auf Hochverrat, aber: „Das war ein harmloser Spinner“, meint Haiger. W. hatte die Sowjetunion als Arbeiter-und-Bauern-Paradies gelobt. Zu seinem Glück nahmen die Richter W. nicht ernst: „Der war wohl besoffen“ – vermuteten sie laut Verhandlungsprotokoll.

Demnächst werden die Gräber von W., Haushofer und den anderen Kriegsopfern eine Aufwertung erfahren. Das Gedenkstättenprogramm ermöglicht den Austausch der Blechtafel an der Friedhofsmauer, auf der es heißt: „der Wahn allein war Herr in diesem Land, in Leichenbergen schließt sein stolzer Lauf.“

RICHARD RABENSAAT

* Name geändert

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