„Jeder will seinen eigenen Brei“

Die Anschläge in den USA haben die Muslime in der Stadt geschockt. Aber hat der Terror womöglich auch positive Folgen: Ist eine Einigung der verschiedenen muslimischen Gruppen auf einen gemeinsamen Religionsunterricht nun eher möglich?

von PHILIPP GESSLER

Am Ende sind die Mongolen daran schuld, dass es in Berlin keinen allseits anerkannten islamischen Religionsunterricht gibt: Das asiatische Reitervolk eroberte im Jahr 1258 Bagdad und brachte das dortige Kalifat zu einem Ende. Spätestens seit dieser Zeit gibt es keine zentrale Lehrinstanz im Islam mehr, denn der Kalif hatte, theoretisch, nach dem Vorbild Mohammeds neben der weltlichen auch die geistige Autorität in der muslimischen Welt inne. Weil nun niemand mehr für alle Muslime verbindlich sagen kann, was der rechte Glaube ist, konnten sich auch die muslimischen Gruppen Berlins auf kein Modell für einen gemeinsamen Unterricht einigen.

Bisher. Doch wie reagieren die knapp 250.000 Muslime der Stadt auf die Terroranschläge in den USA? Gibt es angesichts der wahrscheinlich religiös motivierten Untat ein Umdenken, nun doch zu einem gemeinsamen Modell für einen Religionsunterricht zu kommen, der Fundamentalisten keinen Raum gibt? In Berlin leben Muslime aus etwa 30 Staaten, von den Philippinen bis nach Marokko. In gut 75 Moscheen beten sie – und doch glaubt Mohammed Herzog, Sprecher der „Islamischen Gemeinschaft deutschsprachiger Muslime Berlin“, dass die muslimischen Gruppen in der Hauptstadt nach den Anschlägen „etwas näher zusammenrücken“.

Dabei sitzt die Islamische Föderation Berlin (IFB) im Zentrum, eine Lösung wird es nur mit ihr geben: Nach 19 Jahren juristischen Streits hat sie sich als einzige muslimische Organisation das Recht erkämpft, Islamunterricht an den Schulen zu erteilen. Das Problem aber ist, dass die IFB enge Kontakte zur türkisch-islamischen „Islamischen Gemeinschaft Milli Görüș“ hat, die der Verfassungsschutz in Teilen als extremistisch einstuft.

Dennoch gestand das Oberverwaltungsgericht 1998 der IFB den Status einer Religionsgemeinschaft zu. Die Sorgen IFB-ferner Eltern aufnehmend, lud daraufhin die Ausländerbeauftragte Barbara John muslimische Organisationen ein, einen gemeinsamen Entwurf für einen Religionsunterricht auszuarbeiten. Man traf sich zwei, drei Mal, konnte sich aber auf nichts einigen, die Sache schlief ein. „Jeder wollte seinen eigenen Brei kochen“, klagt Herzog.

Einen neuen Anlauf für ein gemeinsames Unterrichtsmodell hält Herzog deshalb für nicht sehr wahrscheinlich: „An was das liegt, weiß ich auch nicht recht.“ Viele wollten sich noch nicht einmal an einen Tisch setzen – nach dem Motto: Mit Milli Görüș rede ich nicht. Oder: Wenn der kommt, komme ich nicht.

Ein Grund für die religiöse Distanz zwischen den Gruppen ist auch, dass der Islam die direkte Zwiesprache des Gläubigen mit Gott betont – Mittler wie etwa die Priester der katholischen Kirche sind nicht unbedingt notwendig. Es gibt in Deutschland auch keine Hochschulen, in der Islamlehrer ausgebildet werden. Hinzu kommt, dass gerade gemäßigte Gruppen wie etwa die „Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion“ (DITIB) in der Regel eine starke Anbindung an den türkischen Staat haben, der jedoch eine sehr strikte Trennung von Moschee und Staat propagiert. Überspitzt formuliert: Da den gemäßigten Muslimen das Thema „Religionsunterricht“ logischerweise nicht so dringend erschien, haben eifrigere Muslime mit ihren Engagement die Agenda bestimmt.

Zwar war zunächst der Widerwille der Schulverwaltung überdeutlich, der IFB die Erlaubnis zum Unterricht zu erteilen. Die Rahmenpläne wurden immer wieder als teilweise verfassungswidrig kritisiert. Das Verwaltungsgericht aber gab Ende August einem Eilantrag der Föderation statt, ab Anfang September Unterricht zu erteilen. Seit dem haben an zwei Grundschulen, im Wedding und in Kreuzberg, Stunden in islamischer Religion stattgefunden. Dafür hat die IFB zwei Lehrer zur Verfügung gestellt. Der Zulauf ist noch eher gering: Insgesamt nur etwa 60 Schülerinnen und Schüler werden unterrichtet – das sind gerade mal rund 2 Prozent der etwa 36.000 muslimischen Kinder der Stadt.

Seitdem ist es still geworden um den Unterricht. Mohammed Jimoh, Vertreter des Zentralrats der Muslime in Berlin, meint, dass den Rahmenplänen nach zu urteilen der vorgesehene Inhalt des Unterrichts bei der Mehrheit der Muslime in der Hauptstadt kaum auf Widerstand stoßen würde. Der IFB sei zugute gekommen, dass sie sich früher als andere muslimische Gruppen um die religiöse Ausbildung gekümmert habe: In Kreuzberg unterhielten sie schon lange mit dem Islam-Kolleg eine Fortbildungsstätte. Jimohs Organisation unterstützt den IFB-Unterricht – es gebe keine Bestrebungen, dem etwas entgegenzusetzen. Nur das Einzelkämpfertum der IFB kritisiert Jimoh sanft.

Dies wird bei der IFB selbst zurückgewiesen. Man habe sehr wohl andere Organisation zur Planung des Unterrichts eingeladen – doch nur zwei Gruppen, der „Verein der Islamischen Kulturzentren“ (VIKZ) und einige Vertreter des „Kulturzentrums Anatolischer Aleviten“, seien gekommen. Dass bisher kein gemeinsamer Entwurf für einen islamischen Religionsunterricht vorliege, liege an „Kleinigkeiten“ und „Machtfragen“, die es bei allen Religionen gebe: „Der Mensch ist leider so.“ Skeptisch werden beim IFB die Chancen dafür gesehen, dass die Anschläge die muslimischen Gruppen in der Stadt in der Unterrichtsfrage näher zusammenrücken lassen können: Man müsse vielleicht auch noch warten, welche Aktionen die USA in Reaktion auf den Terror unternähmen, heißt es.

Der Vizevorsitzende des türkischen Elternvereins, Alișan Genç, fordert denn auch genaues Hinsehen. Schon lange habe man vor der Gefahr des Fundamentalismus gewarnt: Bei religiösen Unterweisungen „in Hinterhöfen“ ohne öffentliche Kontrolle drohe eine problematische Entwicklung, die eine „explosive Brisanz“ annehmen könne. Um Fundamentalismus auszuschließen, spricht sich der Elternverein für einen überkonfessionellen Islamkunde-Unterricht unter staatlicher Aufsicht aus, gegeben von Islamlehrern muslimischer Herkunft. Ein genaues Konzept müsse von der Schulverwaltung kommen, da sein Verein eine weltliche Institution sei, die solche Dinge nicht erarbeiten könne. Man begreife den Religionsunterricht zwar als ein Grundrecht, könne aber nicht als Träger fungieren: „Das ist“, räumt Genç ein, „unser Dilemma.“