Keine Freiheit über den Wolken

Wird der massenhafte Billigtrip an ferne Gestade durch die Krise der zivilen Luffahrt Geschichte?

Nach den Terroranschlägen von New York ist die Seelenruhe des Flugreisenden vollends bedroht, zumal, wenn ihm das Fliegen ohnehin schon Unbehagen bereitete. Das scheint bei mehr Menschen der Fall zu sein, als man gemeinhin vermuten würde. Nach Schätzungen der Lufthansa AG verspüren grundsätzlich ein bis zwei Drittel aller Flugpassagiere „in bemerkenswertem Ausmaß Angstsymptome beim Fliegen.“ Schätzungsweise sechzig Prozent von Ihnen betäuben sich vor dem Flug mit Beruhigungsmitteln und Alkohol.

Die zivile Luftfahrt ist nach dem Harakiri-Terrorismus auf New York in der Krise und auch die Reisebranche rechnet im Falle militärischer Schläge der USA mit Einbrüchen, gegen die der Rückgang der Buchungszahlen während des Golfkriegs nur ein Vorspiel war. Im Moment zögern die KundInnen, stornieren ihren Flug nach Dubai und fahren stattdessen an den Bodensee, mindestens aber buchen sie von USA, Türkei, Ägypten und Tunesien auf Spanien um.

Und möglicherweise beginnt nun eine neue Epoche der Reisekultur, in der das Fliegen hinreichert entzaubert ist. Entzaubert auch aus banaleren Gründen: Durch das zunehmende Chaos am Himmel nahmen die Verspätungen der Flüge in den letzten Jahren ein beispielloses Ausmaß an. Dazu kommen die Unannehmlichkeiten, die man als notwendiges Übel hinzunehmen gewöhnt ist: Das stundenlange Einchecken, das nervtötende Warten auf die Koffer, dazu der Stress in überfüllten Kabinen mit wenig Platz und schlechter Luft und schließlich ein ein bis zwei Tage währender Jetlag – die untrüglichen Signale des Körpers, dass ihm Gewalt angetan wurde.

Auch einige Zeitgenossen, die auf eine Miles-and-more-Biografie zurückblicken, fühlen mit zunehmenden Reiseerfahrungen Überdruss am Hin- und Herjetten zwischen den Kontinenten. Urlaub heißt für sie nicht mehr einfach „Nix wie raus“. Sie fahren zur Abwechslung auf dem Rad durch Böhmen, mit dem Schiff auf dem Rhein-Marne-Kanal oder wandern nach Santiago de Compostela.

Möglicherweise wird der Billigurlaub in fernen Welten als jenes Vergnügen in die Geschichte des Tourismus eingehen, das im Grunde nur ein bis zwei Generationen vorbehalten war, denjenigen nämlich, die nach 1960 geboren und fliegend groß geworden sind: jene Zeit, in der der Flugverkehr durch Verzicht auf Kerosinbesteuerung indirekt subventioniert wird und die gewaltigen Klimaschäden nach wie vor nicht eingerechnet sind. Wenn diese wirklichen Kosten bezahlt werden müssen, werden die gegenwärtigen Dumpingpreise nicht mehr möglich sein.

Schon jetzt drohen drastische Preisanstiege – durch die anhaltende Konjunkturschwäche, die neuen Tarifabschlüsse mit der Belegschaft, die Erhöhung des Ölpreises und die verstärkten Sicherheitsauflagen und -maßnahmen an den Flughäfen und in der Luft. Außerdem natürlich durch den Ausstieg der Versicherungen aus den Verträgen mit den Fluggesellschaften, weil sie die Risiken für nicht mehr kalkulierbar halten. Eines steht schon fest: Die Kosten für den Kasko-Schutz für Flugzeuge werden sich in etwa verzehnfachen – und die Chancen, dass der Pauschalurlaub auf einer Sonneninsel das kostengünstige Urlaubsangebot für alle bleiben wird, schwinden zunehmends.

Zum Nachteil vieler Destinationen in der Dritten-Welt: Während die Tourismuskonzerne die Reiseströme einfach verschieben, könnten viele Länder, die auf den Entwicklungshelfer Tourismus setzen, auf ihrem Pauschalangebot sitzen bleiben.

GERHARD FIZTHUM