Ausweglos schwitzen

■ John von Düffel, Buchautor und früher Dramaturg in Oldenburg, erklärt in EGO was das ist, die „Nabeltiefe“

Wenn Sie jemand fragen würde, wo sich Ihr ICH aufhält, und zwar Ihr eigentliches, innerstes, wahres ICH, würden Sie vermutlich genau dort auf die Suche gehen, wo man es gewohnheitsmäßig eben tut: im Hirn, im Herz, tief im Innern des Körpers oder auch weit oberhalb, dort, wo Fleisch und Geist und Gott aufeinander treffen. An an einer Stelle jedoch würden Sie es vermutlich nicht vermuten: Im Nabel. Ganz richtig: im Bauchnabel.

Den hat John von Düffel, Autor des unlängst erschienen Romans Ego, als Sitz desselben lokalisiert. Und das ist ganz wörtlich zu nehmen: Unternehmensberater Philipp - die Hauptfigur - ist einer, der sein gesamtes Dasein der Pflege seines Muskelapparates geweiht hat. Damit keine Missverständnisse aufkommen: Er ist kein Sportler wie der Autor selbst, der schon in seinem Romandebut „Vom Wasser“ (1998) nicht nur von Fischen und Flüssen, sondern auch vom Langstreckenschwimmen erzählte. Nein!

„Ego“ Philipp stählt seinen Body tagein, tagaus in Fitness-Studios, um die perfekte „Alpha-Anatomie“ zu erhanteln. Und der Nabel ist für ihn die Stelle seines Körpers, an der sich Erfolg und Misserfolg ultimativ ablesen lassen. In Milimetern, meine Herren! Devise: „Ich muss unbedingt an meiner Nabeltiefe arbeiten.“

Im Laufe des Buches nährt sich die Nabeltiefe gegen null. Die einzige Erhabenheit, die Philipp anstrebt, ist die Erhabenheit eben diesen Nabels. Dafür kasteit er sich, wo immer möglich (Treppenhaus, Schreibtisch), und denkt und fühlt kalorisch wie eine magersüchtige 15-jährige. Den Rahmen dafür bildet sein Karriere-Alltag, bevölkert von Konkurrenten und Frauen, die er eigentlich nur als Spiegelfläche benötigt.

Genau darum geht es in Ego: Wir lernen einen Menschen kennen, dessen einzige Sehnsucht nach Transzendenz der Blick in den Spiegel im Fitness-Studio ist. Alles, aber auch wirklich alles, ist Wirkung im Leben dieser Figur. Und deswegen ist Philipps größte Sorge auch die, dass er seinen Body möglicherweise gerade nicht ins rechte Licht rücken kann. Alles ist Posing, auch die Wartezeit vor dem Firmenkopierer (“Gut gefällt mir heute mein Kleinfingerstrecker“) John von Düffel muss jede Menge Fachliteratur gebüffelt haben, um die narzistische anatomische Selbstbespiegelung seines Helden mit den entsprechenden Fachtermini beschreiben zu können. Oder hat man als Autor und Dramatiker ein natürliches Verhältnis, sagen wir - zum ulnaren Handbeuger?

Man lernt also etwas bei der Lektüre dieses Buches, auch für das eigene Training. Im Ernst: Die zentrale Figur seines Buches hat von Düffel derart überzeichnet, das man sich nach nur wenigen Seiten fragt, ob man eine solche Karikatur eines erfolgreich-gestählten Businessman wirklich näher kennenlernen muss. Überhaupt: Die inflationären „Ich“ sind wirklich strapaziös, der Stilisierungsgrad ist hoch, und die rhytmisch/atmosphärische Prosa früherer Arbeiten nicht wiederzuentdecken.

Vielleicht ist diese EGO-Parodie wirklich vor allem witzig gemeint? Fest steht, dass der Schöpfer seinem Muskel-Philipp mit Sicherheit eine message mit in den Kraftdrink gemixt hat: Vielleicht, dass Schein nicht wirkliches Dasein und eine perfekte Oberfläche nicht gleich Leben ist. Zeitkritik!!! Natürlich bekommt in Gestalt des ausweglos schwitzenden und durchweg strategisch handelnden Protagonisten auch die Leistungsgesellschaft ihr Fett weg: „Natürlich muss man Athlet sein“, heißt es in Ego, „jeder, der heute ernst genommen werden will, muss absolut Athlet sein, ob er nun in der Computerbranche arbeitet oder als Filialleiter in einem Supermarkt, Athlet sein ist Dogma. Im Duell mit sich selbst, zuallererst.

Um zu wissen, worüber er schreibt, ist von Düffel selbst in die chromglänzende Welt der Fitnessstudios eingedrungen, als eine Art „Günter Wallraff des Körperkults“, wie er in einem Zeitungstext selbst geschreiben hat. Undercover hat er, malträtiert von einer wissenden Trainerin, festgestellt, dass die Selbstliebe möglicherweise die komplizierteste Form der Liebe ist. Immerhin: Am Ende des Buches macht ein versöhnliches Schicksal - oder besser: von Düffel - Philipp zum werdenden Vater. Mit vermutlich verheerenden Folgen für dessen Nabeltiefe. Milko Haase

John von Düffel liest heute um 20 Uhr im PFL Kulturzentrum in Oldenburg aus „Ego“.