Marzahn sticht Lichtenberg

Entkrampfung im Umgang mit der DDR-Architektur? Cornelius Mangold vom superclub hat gemeinsam mit Wolf Lucks und Jochen Schmidt ein Quartett über die Geschichte der Plattenbauten herausgebracht – technische Kenndaten inklusive

Auch auf Hochglanzpapier verlieren die in schnörkellosem Grau fotografierten Gebäude nichts von ihrer Eintönigkeit

von ANDREAS HERGETH

Neulich in der „Supermolly“ in Friedrichshain. Wir essen gerade Kuchen, da erzählt Anja, dass sie ihren Doktor machen will, und dass sie sich dafür die ostdeutschen Plattenbauten als Thema gewählt hat. Deshalb betreibt sie neuerdings ethnografische Feldstudien in Hellersdorf und plant, dort ein halbes Jahr zu wohnen – Lychener Straße, ade!

Marzahn & Co., das sei doch irgendwie hip, erklärt die Ethnologin. Arne, der erst vor ein paar Wochen für die Kunstaktion der Friedrichshainer Galerie Expo 3000 erstmals nach Hellersdorf fuhr, nickte und sah die in seinem Bekanntenkreis immer öfter diskutierte These bestätigt, dass die Szene von Mitte erst nach Friedrichshain gewandert ist und irgendwann auf der Suche nach neuen und noch abenteuerlicheren Locations in einem Plattenbaubezirk landen wird. Wie im Kurzfilm von Nina Fischer & Maroan El Sani, der vor zwei Jahren auf Arte lief.

Passend zum herbeigeredeten Trend gibt es jetzt ein Quartett namens „Plattenbauten“, das sich mit „Berliner Betonerzeugnissen“ den schmückenden Elementen der DDR-Neubaublocks widmet. Damit wird sich dem Phänomen endlich mal nicht nur soziologisch oder ästhetisch, sondern auch spielerisch genähert. Die Idee dazu hatte Cornelius Mangold vom superclub, Stefan Wolf Lucks fotografierte, Jochen Schmidt steuerte kleine Plattenbauten-Geschichten bei, Florian Brauch übernahm die Gestaltung.

Die sieben Quartettserien zu je vier Karten sind nach bestimmten Gestaltungsprinzipien geordnet. Da gibt es zum Beispiel die Serie „Aussenwandplatte Beton“ mit vier Häusern aus Hohenschönhausen, Marzahn und Lichtenberg. In verschiedenen Grautönen sind sie ganz schnörkellos und verlieren auch auf Hochglanzpapier nichts von ihrer Eintönigkeit.

Gerade diese Reihe zeigt, dass es um keine oberflächliche Auseinandersetzung mit der viel geschmähten Platte in Berlin geht. Vielmehr entkrampft das Spiel die verhärteten Diskussionen, zeigt die Vielfalt der DDR-Architektur und wie schön Plattenbauten im Detail sein können.

Das wird vor allem an den Schmuckwänden deutlich. Die Serie „Formstein Beton“ zeigt den geradezu spielerischen Umgang mit dem Material, in der Leipziger Straße ähneln die Formsteine Meereswogen, in der Chauseestraße bilden sie Blumenrosetten, in der Lichtenberger Judith-Auer-Straße kommen sie futuristisch daher. Trist bleiben die Plattenbauten in ihrer monströsen Gesamtheit trotzdem: „Der Wind blies wütend durch die Häuserfluchten“, schreibt Jochen Schmidt, „niemand hatte mit ihm gerechnet.“

Neben dem mit Straße und Hausnummer genannten Standort finden sich alle nötigen Kenndaten auf den Karten, die das Spiel auch für Architekten interessant machen. Dazu gehören Geschosszahl wie Baujahr, Breite und Höhe der jeweiligen Elemente und auch die Anzahl der „Einheiten“, was auf DDR-Deutsch schlicht Wohnungen meinte.

Einziges Manko: Die Bestandsaufnahme der anderen Art endet Mitte der Siebzigerjahre. Doch auch danach wurden in Berlin Häuser in Plattenbauweise errichtet, neben vielen konventionellen Häusern auch so interessante Bauwerke wie der Friedrichstadtpalast und das Nikolaiviertel, dem man die seriengefertigten Betonelemente kaum ansieht. Vielleicht gibt es demnächst ein zweites Quartettspiel der Achtzigerjahre?

Quartett „Plattenbauten“, 25 DM, in Buchhandlungen, Museumsshops oder über www.superclub.de. Ausstellung nur bis 14. Oktober, 15 bis 20 Uhr, im superclub, Claire-Waldoff-Straße 3, Mitte