„Die Ohne-mich-Position geht nicht mehr“

Es gibt den Wunsch, Militäreinsätze zu vermeiden. Und das Ziel, sich vor terroristischer Gewalt nicht wegzuducken. Die Bündnisgrünen sind die einzige Partei, die sich auf diesen Konflikt einläßt. Meint der grüne Vordenker Ralf Fücks

taz: Die Zerreißprobe auf dem Kleinen Parteitag ist ausgeblieben. Sie, Herr Fücks, versuchen die Grünen zu durchschauen, wenn andere kapitulieren. Warum ist die Partei sich auf einmal so einig in der Reaktion auf den 11. September?

Ralf Fücks: Allen ist jetzt klar, was auf dem Spiel steht: Wenn die Grünen sich über die Antwort auf den Terror zerlegen, dann war’s das, nicht nur mit der Regierungsbeteiligung, sondern auch mit der grünen Partei.

Den Delegierten saß der Selbsterhaltungstrieb im Nacken?

Das auch. Aber der 11. September hat bei vielen die Bereitschaft befördert, sich auf riskante Fragen und Antworten einzulassen, statt nur die ideologischen Schubladen auf- und wieder zuzumachen. Und inzwischen hat die grüne Führung eine politische Sprache gefunden, die einen Ausweg bietet aus der falschen Frage „Sind wir für oder gegen Krieg?“

Letztlich muß die Partei sich aber entscheiden – für oder gegen Krieg.

Der Länderrat gibt unseren Leuten vier Kriterien mit für die Reaktion auf die Anschläge: das Völkerrecht, eine Stärkung multilateraler Politik, keine Frontstellung mit der islamischen Welt, kein Krieg gegen die Zivilbevölkerung.

Trotzdem geben sich die Grünen pro-amerikanischer als viele US-Intellektuelle etwa Susan Sontag. Warum kann die Partei sich eigentlich keine maßvoll kritische Haltung zu den USA leisten?

Das können wir. Was die Grünen auszeichnet, ist doch gerade ihr Festhalten an Grundüberzeugungen wie den Menschenrechten. So richtig es ist, dass die USA jetzt eine breite Allianz gegen den Terrorismus bilden, wäre es aus meiner Sicht ein zu hoher Preis, wenn man im Gegenzug Menschenrechtsverletzungen im Iran, in Tibet oder in Tschetschenien decken würde. Das hat auch Joschka Fischer zum Ausdruck gebracht.

Die Hoffnung, Fischer werde segensreich wirken, sprach aus vielen Redebeiträgen. Kaum eine Rolle spielte die langjährige Überzeugung vieler Grüner, dass Militäreinsätze auch bei besten Absichten zur Eskalation führen. Glauben die Grünen neuerdings, Krieg eskaliert nur soweit, wie es Parteitagsbeschlüsse vorsehen?

Zweifellos wohnt jedem Krieg eine Tendenz inne, total zu werden, das lehrt schon Clausewitz. In der Zeit des Kalten Krieges war die Befürchtung realistisch, dass regionale Konflikte in eine globale und damit atomare Katastrophe umschlagen. Der Pazifismus der Grünen war vor allem ein Atom-Pazifismus. Seitdem hat die Welt sich geändert – und bei den Grünen hat es seit dem Balkan-Krieg einen sehr konfliktvollen Lernprozess gegeben.

Im Kosovo-Krieg trugen die Bündnisgrünen den Streit um Militäreinsätze stellvertretend für die bundesdeutsche Gesellschaft aus. Welche gesellschaftliche Rolle spielt die Partei noch, wenn sie sich jetzt so weitgehend einig ist?

Die Grünen sind die Partei, die sich am schärfsten auf den Zielkonflikt einläßt zwischen dem Wunsch, Gewalt zu vermeiden, und dem Vorsatz, sich vor terroristischer Gewalt nicht wegzuducken. Die PDS will das Dilemma gar nicht erst wahrnehmen. Und die SPD hat kein Problem mit Militär. Wir als Grüne können einfache Antworten nicht bieten.

Das ist doch ein politischer Reklamesatz. In Wahrheit ist die Debatte bei den Grünen gelaufen.

Der Fundamentalkonflikt, ob Militäreinsätze überhaupt ein Mittel der Politik sein können, ist in der Tat entschieden. Aber in jedem einzelnen Fall diskutieren wir von neuem, ob, wie und wieweit wir einen Einsatz der Bundeswehr mittragen. Für uns sind militärische Mittel keine Selbstverständlichkeit.

Glauben Sie, der CDU-Politiker Rühe sieht das anders?

Wir bleiben kritisch gegenüber Militär als Mittel der Politik. Aber die Grünen können nicht sagen, wir wollen uns stärker für eine gemeinsame Weltinnenpolitik engagieren, tun das aber nur mit Entwicklungshilfe und Konfliktmoderation. Die Ohne-mich-Position der 70er und 80er Jahre ist heute nicht mehr durchzuhalten.

Warum übernehmen die Grünen die Denkfigur konservativer Sicherheitspolitiker, die sich Deutschlands neue Rolle nur als eine stärker militärische vorstellen können? Was spricht gegen eine Bundesrepublik als Spezialist für ziviles Engagement?

Wir sind nicht Dänemark. Unsere Verbündeten würden sich zu Recht gegen eine Arbeitsteilung wehren, bei der sie die riskanten und umstrittenen Ordnungsaufgaben übernehmen, während sich ein Land von der Bedeutung der Bundesrepublik jedem militärischen Engagement entzieht. Dann muss man konsequent sein, und jede Art von militärischer Intervention ablehnen. Aber wozu das führt, hat man ja in Srebrenica gesehen.

Seit 1989 haben sich die Grünen Schritt für Schritt zu mehr Militärengagement bereitgefunden. Kommt jemals der Punkt, wo sich die Grünen fra gen: Sind wir vielleicht zu weit gegangen?

Man muss zumindest die Erfahrungen, die es mit Militärinterventionen gibt, ehrlich auswerten. Was ich im Fall Kosovo vermisse, ist eine kritische Befragung, ob der Einsatz die proklamierten Ziele erreicht hat und ob die Methoden diesen Zielen angemessen waren.

Waren sie’s?

Unterm Strich würde ich sagen, die Intervention war notwendig. Aber sie hat uns die Schwierigkeit einfacher Wahrheiten vor Augen geführt: Auch ich war erschrocken über die großen Zerstörungen durch die Nato-Luftschläge gegen Serbien. Dabei fielen die Bombardements derart massiv aus, weil die Nato gewissermassen einer urgrünen Forderung entsprochen hatte: keine Bodentruppen einzusetzen.

INTERVIEW: PATRIK SCHWARZ