„Wo sie hintreten, wächst kein Gras mehr“

■ Das Bild der Bremerinnen im 18. Jahrhundert im Spiegel ihrer Hochzeitsbräuche: Ein Gang durch's Focke Museum

Bernhard Graevaeus war bei seiner Hochzeit 72 Jahre alt, ein hoch angesehener Doktor der Rechte aus dem Westfälischen. Er heiratete in eine der reichsten und angesehensten Familien Bremens ein, seine Frau war mit ihren 47 Jahren auch kein Backfisch mehr. Ob es Liebe war? Sicherlich nicht. Die beiden haben sich im Jahr 1636 bei ihrer Hochzeit von dem Maler Wolfgang Heimbach porträtieren lassen. Heute hängen die beiden Gemälde – neben einigen anderen malerischen Hochzeitsdarstellungen – im Focke Museum.

Sie sehen beide nicht glücklich aus, die Braut presst die Lippen aufeinander und ähnelt in ihrer steifen schwarzen Robe, auf dem Kopf eine Perlenhaube, eher der Teilnehmerin eines Trauermarsches. „Liebeshochzeiten waren den Menschen früher fremd“, so Cleo Wellerdiek, Expertin für Hochzeitsbräuche im alten Bremen. „Liebe überließ man der Literatur.“ Es wurde meist aus rein wirtschaftlichen Gründen geheiratet oder um innerhalb des Standes aufzusteigen.

Überhaupt war die damalige Gesellschaft strikt in vier Klassen – beziehungsweise Stände – aufgeteilt. Dem ersten Stand gehörten die Ratsherren und promovierte Akademiker an, dem zweiten nicht promovierte Akademiker, Zunftmeister und Kaufleute. Zum dritten Stand zählten wichtige Handwerker und Meister, zum vierten dann die Dienstboten. Im streng calvinistischen Bremen regelte der Rat der Stadt selbst jedes klitzekleine Detail bei Hochzeiten. Wie viele Gäste eingeladen werden dürfen, wie viel Goldbehang die Brautleute haben dürfen, wann der Koch mit dem Essen fertig sein muss.

Mit Hilfe dieser Regeln wurde so ganz öffentlich der jeweilige Stand zum Ausdruck gebracht. „Es gab einen Hochzeitszug, der morgens am Haus der Braut startete, dann zur Kirche führte und später zu den Kosthäusern der Zünfte, wo die Feiern abgehalten wurden“, erklärt Cleo Wellerdiek. „Der erste und zweite Stand heiratete immer dienstags, der dritte und vierte an Donnerstagen.“

Niemand durfte heiraten, ohne dass er 300 Taler zur Ernährung der Familie vorweisen konnte. (Ein Taler hatte den Gegenwert eines kleinen Silberlöffels.) Deshalb lebten die Menschen des vierten Standes oft in wilder Ehe zusammen. Ein Teufelskreis, weil uneheliche Kinder dann wieder keine Chance hatten, in eine Zunft aufgenommen zu werden und eine Lehre zu machen.

Da liefen sie dann also im Hochzeitstreck, goldbehängt, die lieben Tanten im typischen Bremer Tiphoiken – einem diabolisch anmutenden schwarzen Umhang mit einem Lederhorn vorne – hinterher und vorneweg die Bremer Stadtmusikanten. Der vierte Stand durfte keine Musik haben, auch keinen protzigen Schmuck, nicht einmal Wein zum Fest.

„Es gab keine reine Hochzeitsmode, die Frauen trugen die spanische Regententracht“, so die Hochzeitsexpertin. „Jegliche Körperform wurde da verborgen.“ Nur keine Sexualität in der Öffentlichkeit, um Gottes Willen, wollte man im calvinistischen Bremen. So schrieb dann auch ein Engländer im 18. Jahrhundert über die Bremerinnen: „Schön sind sie selten, eher plump als graziös. (...) Wo sie mit ihren bürgerlichen Füßen hintreten, da wächst kein Gras mehr.“

Susanne Polig

Das Focke-Museum (Schwachhausener Heerstraße 240) ist Mittwoch bis Sonntag von 10 bis 17 Uhr geöffnet, am Dienstag bis 21 UhrTel.: